LG München

Die gesetzliche Einschränkung des “automatischen” Unterlassungsanspruchs wurde zwar seitens des Gesetzgebers als Konkretisierung aktueller Rechtssprechung beschrieben. Durch die Innovation ergeben sich jedoch Möglichkeiten, die sich durch Rechtssprechung nicht hätten begründen lassen. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs wird trotzdem weiterhin der Ausnahmefall bleiben.

1. Der neue § 139 (1) des Patentgesetzes

Durch das “Zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts“, welches am 17. August 2021 verkündet wurde, wird der patentrechtliche Unterlassungsanspruch gemäß § 139 Abs. 1 wie folgt konkretisiert: 

Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu- und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.

2. Szenarien und Umstände für eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs

Der Gesetzestext gibt keine Beispiele an. Die Gesetzesbegründung erwähnt jedoch einige Szenarien und Umstände, bei denen eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs in Betracht kommen kann bzw. die einer Einschränkung zumindest zuträglich sind:

♦ Dem Patentinhaber geht es primär um die Monetarisierung seiner Rechte, und nicht “um die Ausführung der Erfindung als Ausdruck der Innovationsfunktion des Patentsystems”. Der Patentinhaber müsse dazu “eindeutig überzogene Lizenzforderungen” – “in treuwidriger Weise” durchsetzen. Allein eine fehlende Nutzung des Streitpatents durch den Patentinhaber (z.B. eine NPE) sei jedoch nicht ausreichend für eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs.

♦ Der Verletzer hat bereits umfangreiche Investitionen in die Entwicklung und Herstellung eines Produktes getätigt. Dies soll z.B. bei langen Forschungs- und Entwicklungszeiträumen der Fall sein. Dabei müssten jedoch die Investitionen “völlig außer Verhältnis” zum Wert des verletzenden Patentes stehen.

♦ Der Patentinhaber zielt mit dem Unterlassungsanspruch auf ein funktionswesentliches Bauteil für ein komplexes Produkt. Und eine Umgehungslösung würde zu hohen zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwänden führen, insbesondere wenn diese durch gesetzliche und behördliche Zulassungsvorschriften verursacht sind.

♦ Der Patentinhaber wartet mit seiner Klage gezielt ab, bis der Verletzer erhebliche Investitionen vorgenommen hat, obwohl er auch früher hätte klagen können.

♦ Dritte erhalten durch eine Unterlassungsverfügung eine mangelhafte Versorgung mit lebenswichtigen Produkten oder Dienstleistungen. Dabei sei die bloße Beeinträchtigung Dritter oder (mittelbare) Nachteile für jene nicht ausreichend.

♦ Wenn der Verletzer eine Freedom-to-Operate-Analsye durchgeführt hat oder sich zuvor um eine Lizenz bemühte, kann ihm das positiv für die begehrte Einschränkung des Unterlassungsanspruchs ausgelegt werden.

Erkennbar wurden die beispielhaften Szenarien und Umstände in der Gesetzesbegründung jeweils mit zusätzlichen Vorraussetzungen versehen, um den Ausnahmecharakter der Einschränkung des Unterlassungsanspruchs zu bekräftigen. An 14 Stellen der Gesetzesbegründung wird explizit auf den Ausnahmecharakter der Einschränkung hingewiesen.

Wie sich reale Fälle unter den neuen Gesetzestext subsumieren lassen, ergibt sich jedoch nicht ohne Weiteres.

3. Die Tatbestandsmerkmale der Gesetzesänderung

Außer der Einbeziehung Dritter, findet sich der Text der Gesetzesänderung wortwörtlich und vereinzelt an verschiedenen Stellen der BGH Entscheidung “Wärmetauscher” (BGH GRUR 2016, 1031). Dort dient er der Begründung, warum in dem zugrunde liegenden Fall eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs ungerecht war. Die nunmehr erfolgte Abstraktion dieser teilweise redundanten Begründungsargumente zu gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen bringt jedoch Schwierigkeiten mit sich. 

3.1 Die besonderen Umstände des Einzelfalls

Zunächst müssen “besondere Umstände” vorliegen. Diese Voraussetzung ergibt sich aus dem Charakter der Einschränkung als Ausnahmeregelung. Im Gesetz sind die besonderen Umstände nicht näher konkretisiert. Die Anwendungsfälle der Ausnahmeregelung sollen nicht von vornherein eingeschränkt werden, sondern müssen durch Rechtsprechung geklärt werden. Die besonderen Umstände sind zudem auf den “Einzelfall” bezogen. Die dadurch bedingte Erschwerung fallübergreifender Rechtssprechung erscheint vor dem Hintergrund unklarer Anwendungsfälle ebenfalls sinnvoll. Der Gesetzgeber muss sich jedoch die Kritik gefallen lassen, legislative Entscheidungen der Judikative zu überlassen. Der Begriff “besondere” hat Kritik entfacht, weil darin bei gleichwertig schutzwürdigen Interessen auf beiden Seiten ein Überwiegen der Interessen des Patentinhabers gegenüber denen des Patentverletzers vermutet wurde (z.B. Stellungnahme NVIDIA).

3.2 Die Gebote von Treu und Glauben

Gesetzesgemäß scheint das Vorliegen “besonderere Umstände des Einzelfalls” alleine nicht ausreichend. Zusätzlich müssen auch “die Gebote von Treu und Glauben” zu einer “nicht gerechtfertigten Härte führen”. Was diese Voraussetzung für das Gesetz bedeutet ist nicht klar. Die Formulierung wurde in der BGH-Entscheidung “Wärmetauscher” mit explizitem Hinweis auf § 242 BGB genutzt. Eine Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs, die zu einer unverhältnismäßigen, nicht gerechtfertigten Härte führe, wäre “treuwidrig” (BGH, “Wärmtauscher”, Rnd. 42).

‘Treu und Glauben’ ist Tatbestandsmerkmal

Im neuen Gesetz stellt der Verweis auf die Gebote von Treu und Glauben nun jedoch ein Tatbestandsmerkmal dar. Der Verletzte muss durch den Unterlassungsanspruch in eine treuwidrige Situation gelangen. Anders gesehen, müsste der Patentinhaber gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßen, d.h. rechtsmissbräuchlich handeln, wenn dieser sein Patent gegen den in einer bestimmten Situation befindlichen Verletzer per Unterlassungsanspruch durchsetzt.

Gemäß § 226 BGB ist solches Handeln unzulässig, das dazu dient, dem anderen zu schaden (Schikaneverbot). Diese Voraussetzung wurde vom britischen High Court als hinreichend für eine Versagung des Unterlassungsanspruchs angesehen ([2005] EWHC 282 (Ch) – Navitaire Inc v EasyJet Airline Co Ltd.). Als schikanös ist bereits ein grobes Missverhältnis anzusehen. 

Aus § 826 BGB ergibt sich ferner, dass vorsätzlich sittenwidriges Handeln unzulässig ist. Sittenwidriges Handeln ist insbesondere als Verstoß gegen die herrschende Verkehrsitte anzusehen. Hier könnte ein Anknüpfungspunkt für einen Antrag auf Einschränkung des Unterlassungsanspruchs liegen, wenn es sich um ein komplexes Produkt handelt, bei dem das Patent nur einen kleinen, aber notwendigen Teil eines technischen Systems schützt. Die Schutzwirkung würde sich demnach effektiv auf das komplette System erstrecken. Eine solche nicht durch die Erfindung gerechtfertigte Schutzerweiterung könnte wider die Verkehrssitte sein. Fraglich wäre dann aber, was zusätzlich für das zuvor diskutierte Merkmal – die “besondere[n] Umstände des Einzelfalls” – gelten müsste und wie die beiden unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale zu unterscheiden sind.

Auch die Königsnorm § 242 BGB, die auch in der Entscheidung “Wärmetauscher” angeführt wird, hilft nicht unmittelbar weiter. Danach ist ein Schuldner verpflichtet, eine Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Ein einfaches Modell zur Übertragung auf den patentgemäßen Unterlassungsanspruch ist das nicht.

Ausschluss der Leistungspflicht als Model

Die Gesetzesbegründung mag deswegen vielleicht den § 242 BGB nicht aufgreifen. Stattdessen bezieht sie sich, gleich am Anfang, auf § 275 BGB (“Ausschluss der Leistungspflicht”). Dort werden Treu und Glauben in ähnlicher Formulierung einbezogen: “Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht.” Die Norm bezieht sich auf die Unmöglichkeit der Erbringung einer geschuldeten Leistung und scheint – bezogen auf eine Unterlassungspflicht – der vorliegenden Änderung am nächsten zu kommen. Eine Befreiung von der Leistungspflicht gemäß § 275 BGB kommt nach allgemeiner Auffassung nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen in Betracht. Interessanterweise wird der Bezug zu Treu und Glauben im § 275 BGB von der Kommentarliteratur jedoch weitgehend als sinnlos erachtet (z.B. MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, BGB § 275 Rn. 92, 93). 

‘Treu und Glauben’ als gerichtliche Ermächtigung

Weithin anerkannt ist allerdings, dass die Grundsätze von Treu und Glauben einen Container für Vertrauenselemente, Anstands- und Fairnessmaßstäbe und letztlich allgemeine Gerechtigkeitserwägungen darstellen. Seit langem sieht der BGH in dem Verweis auf Treu und Glauben eine Beauftragung der Rechtssprechung: „Höher als der Wortlaut des Gesetzes steht kein Zweck und Sinn. Diesen im Einzelfall der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berücksichtigung von Treu und Glauben den Streitfall einer vernünftigen und billigen Lösung zuzuführen, ist die Aufgabe des Richters“ (BGHZ 2, 176 [184] = NJW 1951, 602). 

Demnach gibt die zusätzliche Einbeziehung von Treu und Glauben dem Gericht den Auftrag im konkreten Einzelfall nach Anhaltspunkten für eine Anwendung der Ausnahmeregelung zu suchen. Dies unterstreicht nochmals die Absicht des Gesetzgebers, eine Ausnahmeregel für treuwidrige Effekte aller Art schaffen zu wollen, ohne diese auf bereits bekannte Tatbestände einzuschränken.

3.3 Die unverhältnismäßige, nicht gerechtfertigte Härte

Was ist “unverhältnismäßige” und “durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte” ist? Das Tatbestandsmerkmal müsste sich als Konsequenz einer die o.g. Tatbstandsmerkmale erfüllenden Unterlassungsverfügung ergeben. Die Abgrenzung einer “unverhältnismäßig[en]” Härte von einer “nicht gerechtfertigt[en]” Härte ist nicht klar. Vielleicht ist mit letzterer eine treuwidrige Härte gemeint, die sich zusätzlich zu einer unverhältnismäßigen Härte bei Gewährung der Unterlassung einstellen müsste. In der Gesetzesbegründung findet sich dazu nur die allgemeine Aussage, dass eine unverhältnismäßige, nicht gerechtfertigte Härte jedenfalls treuwidrig sei (S. 33). Sollten die Gerichte darin eine kumulative Vorraussetzung sehen, dann würde dies die Anzahl der Fälle, für die eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs in Betracht kommt, weiter reduzieren.

Die untere Grenze einer “unverhältnismäßigen“, “nicht gerechtfertigte[n] Härte” wird dazu bereits in der BGH-Entscheidung “Wärmetauscher” gezogen. Die zwangsläufig mit einem Unterlassungsanspruch bei einer Patentverletzung verbundenen Härten (z.B. Einstellung der patentverletzenden Produktion oder des patenverletzenden Betriebs bzw. Vertriebs) sind als verhältnismäßige, durch das Ausschlussrecht gerechtfertigte Härten anzusehen (BGH, “Wärmetauscher”, Rdn 41). Diese konkrete Auffassung übernimmt auch die Gesetzesbegründung.

3.4 Zusammenschau der Tatbestandsmerkmale

In Summe ergibt sich durch die verschiedenen Tatbestandsmerkmale ein schwer überschaubares System von Anforderungen. Die Rechtsprechung muss hier erst noch strukturieren. Normalerweise müssten alle Tatbestandsmerkmale gewürdigt werden. Eine allgemeine Interessensabwägung ist nicht erlaubt. Durch eventuelle Redundanzen, gegenseitige Abhängigkeiten und rechtliche Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale wird eine effiziente, stückweise Prüfung erschwert. Die Gesetzesänderung umfasst jedenfalls mehrere Anknüpfungspunkte für die Einbeziehung von Verhältnismäßigkeitserwägungen. Über eine Ausnahmeregelung für extrem gelagerte Einzelfälle soll die Gesetzesänderung jedoch nicht hinausgehen. 

4. Flexible Einschränkung des Unterlassungsanspruchs

Die Gesetzesänderung ermöglicht eine flexible Rechtsfolge (“soweit“). Die Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kann zeitlich begrenzt oder zeitlich unbegrenzt erfolgen. Auch andere Differenzierungen erlaubt das neue Gesetz.

Als Beispiele für eine zeitbegrenzte Einschränkung werden in der Gesetzesbegründung die Aufbrauchfrist und die Umstellungsfrist genannt. Eine begrenzte Einschränkung des Unterlassungsanspruchs wird als Regelfall angesehen. Eine unbefristete, vollumfängliche Versagung des Unterlassungsanspruchs wird nach herrschender Meinung dagegen äußerst selten Anwendung finden. Die Gesetzesbegründung ist dazu überbordend eindeutig: “in sehr wenigen besonders gelagerten extremen Fallkonstellationen“.

Die Aufbrauchfrist bedeutet eine Nichtanwendung des Unterlassungsanspruchs für den Verbrauch patentverletzender Produkte. Dies gilt auch für den Vertrieb bereits hergestellter Produkte. Eine Aufbrauchfrist beschränkt den Unterlassungsanspruch somit auf die bereits produzierten Produkte. Auf eine Herstellung neuer Produkte oder das Anbieten von immateriellen Dienstleistungen würde eine Unterlassungsverfügung uneingeschränkt Anwendung finden. Somit dient eine Aufbrauchfrist nur der Verwertung des Lagerbestandes eines Patentverletzers.

Die Umstellungsfrist geht weiter. Sie erlaubt auch die Generierung patentverletzender Gegenstände. Sie kann sich deswegen auf Produkte und auf Dienstleistungen beziehen. Die Herstellung neuer Produkte bzw. das Anbieten patentverletzender Verfahren ist während der Umstellungsfrist möglich. Eine Umstellungsfrist könnte dann in Betracht kommen, wenn der Verletzer einen Markt für einige Zeit weiterversorgen soll bzw. muss. Die “re-training”-Frist, die in einem britischen Verfahren ([2018] EWHC 1256 (Ch) – Edwards Lifescience v Bosten Scientific.) verfügt wurde, ist dafür ein Beispiel. In der “re-training”-Frist konnten sich Chirurgen auf Verwendung patentfreier Herzklappen umstellen.

5. Was ändert sich?

Rufe nach Änderungen der Gesetzeslage fort von einem ‘automatischen’ Unterlassungsanspruch hin zu einem einschränkbaren Unterlassungsanspruch kamen zum einen aus der Großindustrie. Dort sorgt man sich vor Effekten einer Unterlassungsverfügung, die vor dem Hintergrund komplexer Produkte und komplexer Lieferketten, über einen angemessenen Schutz der Erfindung hinausgehen. Des Weiteren wurde angemahnt (z.B. von der englischen Richterschaft), ein ‘automatischer’ Unterlassungsanspruch entspreche nicht den Vorgaben der EU Enforcement Richtlinie, weil diese insbesondere in Artikel 3 “verhältnismäßige” Maßnahmen fordert.

5.1 Einschränkung per Gesetz

Die offensichtlichste Innovation ist die gesetzliche Normierung der Einschränkung. Zuvor existierten entsprechende Einschränkungen nur für Vernichtungs- und Rückrufansprüche (§ 140a PatG). Für den Unterlassungsanspruch, so lässt sich bei systematischer Auslegung schlussfolgern, sollten entsprechende Einschränkungen gerade nicht gelten. Dann hätte auch keine durch Rechtsprechung zu füllende Gesetzeslücke bestanden. Durch die Einschränkung wird eine Verletzung nicht legalisiert (wie beispielsweise bei der Zwangslizenz), sondern lediglich ermöglicht.

5.2 Einwand für Dritte

Eine weitere Innovation ist die Möglichkeit für Dritte eine Unterlassungsverfügung zu verhindern bzw. einzuschränken. Dritte wurden bis zur Gesetzesänderung weder gesetzlich noch richterrechtlich berücksichtigt. Höchstrichterliche Rechtsprechung, welche die Interessen Dritter oder der Öffentlichkeit durch Einschränkung des Unterlassungsanspruchs berücksichtigten, gab es bis zur Gesetzesänderung nicht. Anders die gesetzlichen Schranken für Vernichtungs- und Rückrufansprüche. Diese umfassen explizit auch die Interessen Dritter (§ 140a Abs. 4 Satz 2 PatG). Außerdem sind die öffentlichen Interessen durch die Zwangslizenz (§ 24 PatG) geschützt.

Ein praktischer Fall in dem Interessen Dritter eine Rolle hätten spielen können, wurde durch das LG Düsseldorf im Jahr 2017 entschieden (4a O 137/15). Das Patent betraf eine Herzklappenprothese. Die Beklagte hatte beantragt, die Unterlassung mit einer Umstellungsfrist einzuschränken. Ansonsten drohe Unterversorgung des (deutschen) Marktes und Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Patienten. Das Landgericht hatte mangels gesetzlicher Grundlagen eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs abgelehnt. Ansprüchen auf Rückruf und Vernichtung hatte es dagegen auf Basis mangelnder Verhältnismäßigkeit nicht stattgegeben. Für ein Patent aus der gleichen Patentfamilie hatte der britische High Court (wie bereits erläutert) dagegen eine 12-monatige Umstellungsfrist (“re-training Frist”) gewährt.

5.3 Ausgleichsanspruch

Absolut innovativ ist der gesetzlich normierte Ausgleichsanspruch. Die Einschränkung des Unterlassungsanspruchs muss dem Patentinhaber zwingend in Geld ausgeglichen werden. Der Ausgleichsanspruch wird auch dann fällig, wenn ein Schadensersatzanspruch zu versagen wäre. Der Ausgleich wird den Wegfall des Drohpotenzials umfassen müssen. Weil der Unterlasssungsanspruch auf die Zukunft gerichtet ist, muss auch der Ausgleichsanspruch auf die Zukunft gerichtet sein. Dieser darf – wie das Gesetz jetzt explizit feststellt – den zu entrichtenden Schadensersatz für vergangene Verletzungen nicht betreffen.

Die Einschränkung der Unterlassung soll damit durch eine Geldzahlung ausgeglichen werden. Die Zahlung muss “angemessen” sein. In der Gesetztesbegründung wird vorgeschlagen, die Höhe des Ausgleichsanspruchs gerichtlich im gleichen Urteil festzusetzen (auf Antrag), in dem auch die Einschränkung der Unterlassung verfügt wurde. Diese schnelle Festsetzung kann für Patentinhaber attraktiv sein, da diese Zahlung dann früher als der Schadensersatz durchgesetzt werden könnte. Wie die Höhe des Ausgleichsanspruchs berechnet werden soll, wird nicht erklärt. Verschiedene Vorschläge reichen von einer einfachen bis zu einer dreifachen Lizenzgebühr. Im Falle der patentverletzenden Herzklappen würde es jedoch ökonomisch wenig Sinn machen, dem Verletzer zur Zahlung eines Ausgleichs zu verpflichten, der nahe seinem Gewinn an den Herzklappen liegt. Denn dann würde der Patentverletzer von sich aus die Belieferung des Marktes einstellen, also das beenden, was mit der Umstellungsfrist erreicht werden sollte.

5.4 Aufweichung des Verfügungsrechts

Strikte Zuweisung der Verfügungsgewalt eigentlich effizient

In der Gesetzesänderung kann eine grundsätzliche Verschiebung des Charakters eines Patentes als Eigentumsrecht gesehen werden. Bis zur Gesetzesänderung, so das Narrativ, war ein Patent als absolutes Verfügungsrecht ausgestattet. Die Möglichkeit andere von einer Benutzung der patentgemäßen Erfindung auszuschließen, also die strikte Zuweisung der Verfügungsgewalt, ermöglicht eine optimale Ressourcen-Allokation.

Diese Konfiguration des Patentrechts als exklusives Eigentumsrecht kann mit Ronald Coase und seinem “Coase-Theorem” erklärt werden, für das dieser 1991 den Nobelpreis erhielt. Demnach ist ein volkswirtschaftlich optimaler Schaden bzw. Schadensersatz durch bilaterale Verhandlungen zwischen zwei Parteien erreichbar, sofern eine eindeutige (i.e. exklusive) Zuweisung der schadenverursachenden Resource (i.e. der Verletzung) erfolgt und Transaktionskosten geringfügig ausfallen.

Ausnahmen von dieser eindeutigen Zuweisung gab es im Patentrecht bisher nur, wenn ein Patent eine solch umfassende Monopolstellung verschafft, so dass deutliche Wohlfahrtsverluste für eine Vielzahl von Fällen zu erwarten sind (z.B. bei standardessentiellen Patenten). Allerdings können Abweichungen vom Coase Theorem dann Sinn machen, wenn die Transaktionskosten, der verhandelnden Parteien hoch sind. Dann ergibt sich auch durch bilaterale Verhandlungen keine optimale Lösungen.

Hohe bzw. zu hohe Transaktionskosten können dann anfallen, wenn der Verletzer nur durch eine sehr umfangreiche FTO die Verletzung im Vorfeld hätte feststellen können. Oder wenn eine Umgehungslösung für die verletzende Technologie nur schwer zu implementieren ist. Zum Beispiel, weil dies technisch innerhalb eines komplexen Produktes (ein Produkt mit vielen voneinander abhängigen Teilsystemen) sehr aufwendig ist oder weil für eine Umgehungslösung eine zeitlich aufwendige oder teure Zulassung benötigt würde. Dann könnte eine Abweichung von der Verhandlungslösung gerechtfertigt sein.

Aufweichung verringert Motivationseffekt

Durch die neue Möglichkeit der Einschränkung des Unterlassungsanspruchs ergibt sich – nunmehr auch für den entsprechenden Einzelfall – eine Abkehr vom Coase-Theorem. Damit wird das Patent von einem Eigentumsrecht zu einem Recht herabgesetzt, dessen Verletzung geduldet werden muss – also nicht mehr exklusiv ist. Dem Wesen eines Patentes könnte eine solche Bewertung mehr gerecht werden. Denn anders als ein materielles Eigentum ist eine Information über eine Erfindung ein nicht-rivales Gut, deren Wert sich steigert, je mehr Menschen diese nutzen können. Dabei wird jedoch der Zweck des Patentrechts geschwächt. Nämlich diejenigen zu motivieren, die erfinderisch tätig werden wollen.

Wert der Aufweichung schwer zu ermitteln

Eine weitere Abkehr von der vorherigen Rechtslage und der von Coase favorisierten außergerichtlichen Lösung liegt darin, dass nunmehr im entsprechenden Einzelfall das Gericht die Bewertung eines versagten Unterlassungsanspruchs zu übernehmen hat. Im Normalfall einer Unterlassungsverfügung wird diese Bewertung dagegen den Parteien überlassen. Wenn sich die Parteien außergerichtlich einigen, werden sie, im Sinne des Coase-Theorems, den für die Parteien optimalen Wert für den Verletzungsschaden bzw. dessen Schadensersatz ermitteln.

Für ein Gericht, das die Zustände und Absichten keiner der beiden Parteien vollständig kennt und somit erheblichen Informationsasymmetrien ausgesetzt ist, ist eine solche Bewertung eine schwierige Aufgabe. Das Gericht könnte sich jedoch an der Argumentation des Verletzers orientieren, mit der dieser seinen Antrag auf Einschränkung des Unterlassungsanspruchs substantiiert, z.B. am Vortrag zu den Kosten einer Umgehungslösung.

6. Was bleibt gleich?

Der Gesetzgeber will in seiner Gesetzesänderung allein eine Klarstellung sehen. Dies macht die Gesetzesbegründung gleich im ersten Satz deutlich. Auf die Klarstellung wird in der Begründung noch 13-mal hingewiesen. Die Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit war bereits in der BGH Entscheidung “Wärmetauscher” festgestellt worden und stellt insofern keine Innovation dar.

Mit den normalen Folgen des Ausschließlichkeitsrechts muss ein Verletzer leben. Wie auch die eingangs genannten Szenarien zeigen, ist erhebliches, auf einen Sonderfall bezogenes Vorbringen erforderlich, um die Ausnahmeregelung zu aktivieren. Dies war grundsätzlich auch vor der Gesetzesänderung nicht anders, wie das BGH-Urteil “Wärmetauscher” gezeigt hat. Dass dies bisher nicht öfter erfolgte bzw. zumindest beantragt wurde, mag an mangelnder Signalwirkung einer gesetzlichen Normierung gelegen haben. Eine “normale” Patentverletzung wird jedoch auch jetzt regelmäßig nicht zu einer Einschränkung des Unterlassungsanspruchs führen können.

Die Ausnahmeregelung macht die Zwangslizenz (§ 24 PatG) nicht obsolet. Und das obwohl die Schwelle zur Aktivierung der Ausnahmeregelung unterhalb der für die Zwangslizenz liegen muss. Denn  bei der Zwangslizenz wird eine legale Nutzung geschaffen. Durch die Ausnahmeregelung wird eine Verletzung geduldet und auf eine angemessene Ausgleichszahlung transformiert. Der Unterlassungsanspruch bleibt in jedem Fall verschuldensunabhängig. Der Schadensersatz bleibt weiterhin geschuldet. Auch, wenn eine Einschränkung samt Ausgleichszahlung verfügt wurde.

Damit bleibt das Patent im Normalfall ein exklusives Eigentumsrecht, dessen Verletzung nicht geduldet werden braucht, sondern welches durch die Möglichkeit einer Unterlassungsverfügung auch Wirkung in die Zukunft entfalten kann. Damit verschafft ein Patent im Regelfall eine unveränderte mächtige Verhandlungsposition.

7. Fazit

Mehr als nur eine Klarstellung

Trotz anders lautender Beteuerungen in der Gesetzesbegründung stellt die Gesetzesänderung mehr als eine Klarstellung dar. Eine Einbeziehung Dritter bei Interessensabwägungen mit dem Patentinhaber war vorher nicht möglich. Auch hinsichtlich einer Interessensabwägung zwischen Verletzer und Patentinhaber werden nunmehr konkrete Tatbestandsmerkmale bestimmt, die für eine Einschränkung des Unterlasssungsanspruchs zu erfüllen sind. Deren Subsumption im Anwendungsfall bedarf jedoch noch richterlicher Strukturierung. Die Gesetzesänderung erscheint damit eher als Konkretisierung statt als Klarstellung.

Die Anwendung wird auf Ausnahmen im Einzelfall beschränkt bleiben. Andererseits umfasst sie das beruhigende Signal an Technologieanwender im Einzelfall vor unverhältnismäßigen Effekten eines Unterlassungsanspruchs verschont bleiben zu können.

Dauerhafte Einschränkungen der Unterlassung unwahrscheinlich

Bei Vorliegen einer Ausnahme, die eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs rechtfertigt, ist eine teilweise, z.B. eine befristete, Einschränkung am wahrscheinlichsten. Vollumfängliche, dauerhafte Einschränkungen dürften die absolute Ausnahme sein. Einschränkungen des Unterlassungsanspruchs könnten sich insbesondere bei komplexen Produkten und Dienstleistungen, stark reglementierten Märkten oder in Verbindung mit einer sicherzustellenden Marktversorgung ergeben.

Einigungen weniger wahrscheinlich

Das deutsche Patentrecht favorisiert eine außergerichtliche Einigung (gemäß des Coase Theorems) weit stärker als das US-amerikanische oder das britische Patentrecht. Dies ist zum einen durch das Bifurkationssystem begründet, in dem sich für die Parteien etliche Zeitpunkte ergeben, zu denen eine außergerichtliche Lösung (erneut) gesucht werden kann. Auch der zunächst dem Grunde nach festgestellte Schadensersatzanspruch, der erst in einem nachgelagerten Höheverfahren beziffert werden muss, motiviert die streitenden Parteien zwischendurch eine außergerichtliche Lösung zu suchen. Die Gesetzesänderung weicht diese grundsätzliche Ausrichtung etwas auf. Im Fall der Einschränkung des Unterlassungsanspruchs wird eine außergerichtliche Einigung unwahrscheinlicher. Dem Gericht obliegt dagegen die schwere Aufgabe, eine verhältnismäßige Einschränkung des Unterlassungsanspruchs und einen monetären Wert zum Ausgleich der Einschränkung zu ermitteln.

Kritiker, die bisher eine unzureichende Umsetzung der Enforcement-Richtlinie bemängelten, dürften durch die neue Gesetzgebung verstummen. Mit der Gesetzesänderung ist nunmehr eine vollumfängliche, EU-konforme Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanpruchs im deutschen Patenrecht gegeben.

8. Rat

Patentinhabern wird geraten, wenn möglich, zunächst eine außergerichtliche Einigung mit einem Patentverletzer zu suchen und dabei offensichtlich überzogene Extremforderungen oder Handlungen, die als treuwidrig ausgelegt werden könnten, zu vermeiden. Der Unterlassungsanspruch kann in diesem Rahmen nach wie vor als mächtiges Druckmittel eingesetzt werden.

Nutzern von möglicherweise patentierten Technologien wird geraten, vor Markteintritt eine FTO durchzuführen, um das tatsächliche Risiko einer Verletzung zu reduzieren und durch die FTO Sensibilität für intellektuelles Eigentum anderer zu dokumentieren. Berechtigungsanfragen sollten zudem sorgfältig beantwortet werden.

Patentverletzer sollten Umstände, die auf eine Ausnahmesituation hinweisen, schnellstmöglich sammeln und dem Patentinhaber kommunizieren. Anhaltspunkte dafür können dort zu finden sein, wo ein Unterlassungsanspruch weit mehr betrifft als die patentierte Erfindung oder das Leben Dritter gefährdet.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

 

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