Patente auf Software

Softwarepatente bewegen die Welt. Sie sind oft umstritten und dennoch basiert heute ein hoher Anteil der Patente in irgendeinem Aspekt auf Software. Grund genug, sich die Entwicklung der Rechtssprechung zu Softwarepatenten genauer anzusehen.

In dem Beitrag, der sich auf drei Teile erstreckt, wird die Entwicklung der deutschen Rechtsprechung zu Softwarepatenten bis zum Jahr 2007 rekapituliert. In dieser ersten Phase wurden wesentliche Beiträge für die Patentierung von Software erarbeitet. Die Retrospektive beginnt mit der Entscheidung “Rote Taube” aus dem Jahr 1969 und endet mit der Entscheidung “Renatbilitätsermittlung” aus dem Jahr 2004. Die Entscheidungen bilden die Grundlage für die Gesetzesänderung im Jahr 2007 nach der Patente nur “auf allen Bereichen der Technik” zu erteilen sind.

Insgesamt werden 19 BGH-Entscheidungen vorgestellt. Die inhaltliche Analyse umfasst die Leitsätze, die strittigen Patentansprüche, den Streitverlauf sowie die vom BGH geäußerten allgemeinen Aussagen. Dabei ist das Ziel, durch Zitate soweit wie möglich am originalen Sachverhalt zu bleiben und den BGH sprechen zu lassen.

Information für die Bewertung aktueller Fälle lässt sich daraus vor allem prinzipiell entnehmen. Denn die Rechtsprechung hat sich auch nach dem Jahr 2007 weiterentwickelt. Dies wird in einem anderen Blog-Artikel zu behandeln sein.

Aus der Retrospektive lassen sich Argumente identifizieren, welche bis heute ihre Wirkung entfalten. Manche haben es bis zur Entscheidung G 1/19 des Europäischen Patentamtes geschafft. Der jüngsten höchstrichterlichen Entscheidung auf diesem Gebiet. Zudem werden Argumente und Prüfungsmethoden, wie die Kerntheorie, gewürdigt, die im Zuge der Entwicklung der Rechtssprechung aufgegeben wurden. Die Gründe dafür liefern ebenfalls wichtige Informationen für die aktuelle Diskussion.

Der Anteil Richterrecht bei der Frage ist groß, ob eine Softwareerfindung patentfähig ist. Der Gesetzgeber gab und gibt kaum konkrete Anforderungen vor, nach denen geprüft werden kann, ob eine Softwareerfindung dem Patentschutz (oder Gebrauchsmusterschutz) zugänglich ist. Die o.g. Einschränkung auf technische Gegenstände fehlte bis 2007 gar. Dadurch exisiterte und existiert eine Regelungslücke, die schwer zu füllen ist. Es braucht dafür einen zu Rechtssprechung geronnenen Erkenntnisprozess, der – wie diese Retrospektive zeigt – eine zeitgemäße Auffassung von Technik in all seinen Nuancen reflektiert. Dieser ist bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen.


Aufgrund der Anzahl der vorgestellten Entscheidungen, erstreckt sich der Beitrag auf drei Teile. Diese können als einzelne Blog-Beiträge aufgerufen werden.

In Teil 1/3:

1. Rote Taube, 1969
2. Dispositionsprogramm, 1976
3. Straken, 1977
4. Prüfverfahren, 1977
5. Kennungsscheibe, 1977
6. Fehlerortung, 1978
7. Antiblockiersystem, 1980

In Teil 2/3 (hier verlinkt):

8. Walzstabteilung, 1981
9. Flugkostenminimierung, 1986
10. Chinesische Schriftzeichen, 1991
11. Tauchcomputer, 1992
12. Seitenpuffer, 1992
13. Automatische Absatzsteuerung, 1999

In Teil 3/3:

14. Logikverifikation, 2000
15. Sprachanalyseeinrichtung, 2000
16. Suche fehlerhafter Zeichenketten, 2001
17. Anbieten interaktiver Hilfe, 2004
18. Elektronischer Zahlungsverkehr, 2004
19. Rentabilitätsermittlung, 2004

0. Gesetzliche Grundlagen der Patentierbarkeit von Software

Die gesetzlichen Grundlagen der Patentierbarkeit von Software ergaben und ergeben sich aus § 1 PatG.

Die gleich Anfangs erwähnte grundsätzliche Einschränkung in der aktuellen Gesetzesfassung, gemäß der Patente (nur)

auf allen Gebieten der Technik erteilt

werden, war in der betrachteten Phase noch nicht Teil des Gesetzes. Diese Einschränkung ist erst seit dem 13. Dezember 2007 gesetzlich. Bis dahin waren grundsätzlich allein die Anforderungen der Neuheit, der erfinderischen Tätigkeit und der gewerblichen Anwendbarkeit zu erfüllen.

Im dritten Absatz von § 1 PatG waren bereits im betrachten Zeitraum beispielhafte Gegenstände aufgezählt, die nicht als Erfindungen gemäß dem ersten Absatz gelten. Darunter befinden sich:

Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen“.

Der vierte Absatz von § 1 PatG stellt klar, dass die im dritten Absatz ausgeschlossenen Gegenstände nur “als solche” vom Patentschutz ausgeschlossen sind.

 

1. Die BGH-Entscheidung “Rote Taube” von 1969

Die Entscheidung “Rote Taube” (BGH, GRUR 1969, 672) hat sich zu einer der wichtigsten Entscheidung für die Patentierung von Software entwickelt. Dabei thematisiert sie biologische Erfindungen und geht auf Software oder Computer nicht ein. Doch die im ersten Leitsatz verlautbarte Definition von Technizität stellt bis heute das wichtigste Kriterium dar, um zu beurteilen, ob eine Erfindung dem Patentschutz zugänglich ist oder davon ausgeschlossen bleibt.

1.1 Leitsätze

1. Dem Patentschutz zugänglich ist eine Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal überseh­baren Erfolges; auch die planmäßige Ausnutzung biologischer Naturkräfte und Erscheinungen ist nicht grundsätzlich vom Patentschutz ausgeschlos­sen.

2. Notwendige Voraussetzung für die Patentierung eines Tierzüchtungsverfahrens ist seine Wiederholbarkeit.

1.2 Streitgegenständlicher Anspruch

a) Verfahren zum Züchten einer Taube mit rotem Gefieder,
b) die gegenüber anderen Tauben gleicher Farbe wesentlich größer ist,
c) eine wesentlich größere Spannweite der Flügel aufweist,
d) deren Gefiederfarbe wesentlich verschönt und verintensiviert ist und
e) deren Ballon im Verhältnis zur Körpergröße extrem groß ist,
f) bei dem ein “Altdeutscher Kröpfer” in erster Stufe mit einer “Roten Römertaube” gekreuzt wird,
g) die aus dieser Kreuzung hervorgegangenen Tauben auf Größe und Farbe selektioniert werden,
h) ein ausgewähltes Produkt dieser Kreuzung in zwei­ter Stufe mit einem “Roten Hessenkröpfer” gekreuzt wird und
i) die aus dieser Kreu­zung nach abermaliger Auslese hervor­gegangene Taube in dritter Stufe mit einem “Altdeutschen Kröpfer” rückgekreuzt wird.

1.3 Streitverlauf

Im vorliegenden Fall wies die Prüfungsstelle die Anmeldung mangels “technischer Maßnahmen” des beanspruchten Gegenstandes ab. Die daraufhin eingelegte Beschwerde wies das BPatG ebenfalls ab.

Auf die Rechtsbeschwerde stellte der BGH jedoch Technizität des angemeldeten Gegenstandes fest. Er führte an, dass der Begriff “technisch” zur Definition einer Erfindung im Patentgesetz (a.F. siehe oben in Abschnitt 0) nicht gebraucht wird. Allein implizit könne Technizität als Anforderung daraus geschlussfolgert werden, dass “technische Mitglieder” des Patentamts in einem Bereich der “Technik” verständig sein müssten.

Dabei ging es im vorliegenden Fall nicht um eine Abgrenzung von technischen zu geistigen oder künstlerischen Leistungen:

Im vorliegenden Falle geht es nicht um den Gegensatz des Technischen zur Welt des rein Geistigen (Anweisung an den menschlichen Geist, reine Erkennt­nisse, wissenschaftliche Lehren) oder zur Kunst (Urheberrecht, Geschmacksmuster usw.), sondern um die Frage, ob auch die Erscheinungen und Kräfte der belebten Natur dem Bereich des Technischen gleichbe­handelt werden können.

Letztendlich versagte jedoch auch der BGH eine Patentierung, weil es der beanspruchten Lehre an der erforderlichen Wiederholbarkeit mangelte (vgl. 2. Leitsatz).

1.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH

Eine zeitgemäße Auslegung des Begriffs Technik sah der BGH als notwendig an:

Dabei ist wiederum nicht ent­scheidend, was der Gesetzgeber im Jahre 1877 unter “Technik” verstanden hat, sondern wie die biologischen Erscheinungen und Kräfte nach dem heutigen Stande der Wissenschaft zu verstehen und einzuordnen sind.

Die bisherige Begrenzung auf physikalische und chemische Mittel als technische Mittel sei nicht mehr zeitgemäß:

Diese damalige Auffassung kann jedoch heute bei der Auslegung des Patentgesetzes nicht mehr maßgebend sein, weil sich inzwischen Naturwissenschaft und Technik ganz erheblich geändert haben, insbesondere z.B. die Landwirtschaft weitgehend technisiert worden ist, die chemischen Verfahren weitgehend berechen­bar geworden sind und auch die biologischen Er­scheinungsformen und Kräfte seit langem in den Be­reich exakter naturwissenschaftlicher Forschung einbezogen worden sind.

Jedenfalls führt die Er­kenntnis, daß nach heutiger Sicht auch biologische Verfahren für einen bestimmten Erfolg kausal und da­mit berechenbar und beherrschbar sein können, zu einer Abwandlung früherer Umschreibungen in der Richtung” des ersten Leitsatzes.

Damals war man also bemüht auf Basis einer zeitgemäßen Definition alle kontrollierbaren Naturerscheinungen in den Patentschutz miteinzubeziehen. Erklärtes Ziel war, zeitgenössischen Technologien Patentschutz zu ermöglichen.

1.5. Einordnung

Die im Leitsatz der Entscheidung formulierte Technikdefinition gilt auch heute noch als erster Anlaufpunkt für die Prüfung einer beanspruchten Lehre auf Technizität.

Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die Verfasser des Europäischen Patentübereinkommens hatten eine Legaldefinition abgelehnt mit dem Hinweis eine Konkretisierung dessen, was als technisch angesehen wird, müsse offengehalten werden, um gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechen zu können. Unter dieser Bedingung hatte auch der BGH in dieser Entscheidung seine Definition aufgestellt. Die Zeitabhängigkeit ist ein untrennbares Merkmal jeder Technikdefinition.

Sollte eine Erfindung nicht unter eine geltende Definition von Technik subsumierter sein, müsste diese folglich auch immer daraufhin geprüft werden, ob sie eine aktualisierte, zeitgemäßere Technik-Definition erfüllt.

 

2. Die BGH-Entscheidung “Dispositionsprogramm” von 1976

Die Entscheidung “Dispositionsprogramm” (BGH GRUR 1977, 96) bildet den eigentlichen Ausgangspunkt der Rechtssprechung zu Softwarepatenten. Sie stellte wesentliche Methodiken bereit, die in den nachfolgenden Entscheidungen aufgegriffen, bestätigt und konkretisiert wurden. Zudem lenkte sie den Fokus auf Technizität als das wesentliche Kriterium zur Abgrenzung zwischen patentierbaren und nicht-patentierbaren Softwarerfindungen.

2.1 Leitstatz

Organisations- und Rechenprogramme für elektronische Datenverarbeitungsanlagen zur Lösung von betrieblichen Dispositionsaufgaben, bei deren Anwendung lediglich von einer in Aufbau und Konstruktion bekannten Datenverarbeitungsanlage der bestimmungsgemäße Gebrauch gemacht wird, sind nicht patentfähig.

2.2 Streitgegenständlicher Anspruch

a) Verfahren zum Ermitteln von Veränderungen einer Vielzahl von Hauptgrößen und Teilgrößen, aus denen sich die Hauptgrößen stufenweise zusammen­setzen,
b) mit Hilfe einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage,
c) die mindestens je zwei externe Speichereinheiten auf der Eingabe- und auf der Ausgabeseite besitzt, wobei
d) in der ersten, der Eingabeseite zugeordneten Speichereinheit, dem sogenannten Bestandsspeicher, satzweise die wesentlichen Bestandsdaten jeder zu verarbei­tenden Größe, geordnet in der Reihenfolge ihrer Adressen,
e) in der zweiten, ebenfalls der Eingabe­seite zugeordneten Speichereinheit, dem Bewe­gungsspeicher, die zugehörigen Bewegungsdaten satzweise und mit übereinstimmenden Bezugsadressen bezeichnet in beliebiger Reihenfolge, und
f) in einer dritten, der Ausgabeseite der datenverarbeitenden Anlage zugeordneten Speichereinheit, dem sogenannten Ergebnisspeicher, die neuen berichtigten Bestands­daten gespeichert werden,
dadurch gekennzeichnet,
g) daß in dem Bestandsspeicher (Ml) in bezug auf die Gliederung der Hauptgrößen in untergeordnete Teil­ größen gleichwertige Bestandssätze einen Abschnitt bilden, die Abschnitte nach der Rangordnung der Gliederung hintereinander angeordnet sind und
h) jeder Abschnitt wiederum in Blöcke unterteilt ist, deren Größe von der verfügbaren Speicherkapazität eines internen Arbeitsspeichers der datenverarbei­tenden Anlage abhängt,
i) wobei in den so geordneten und durch eine entsprechend ausgebildete Adresse bezeichneten Bestandssätzen neben den Bestands­daten der entsprechenden Größe auch die Anzahl und die Adresse der nachgeordneten Teilgrößen enthalten sind,
j) daß aus dem externen Bestandsspeicher (MI) jeweils ein Block von Bestandssätzen (1) und anschließend aus dem Beweguingsspeicher (M2) nacheinander sämt­liche Bewegungsdaten (2) in den internen Arbeits­speicher eingelesen werden und
k) dabei auf Grund der Adresse jedes Satzes der Beweguingsdaten festge­stellt wird, ob er einem der in den Arbeitsspeicher eingelesenen Bestandssätze zuzuordnen ist (3, 5) und in diesem Fall in ein Datenfeld des entsprechen­ den Bestandssatzes aufgenommen wird (6) oder nicht und dann in eine vierte, der Ausgabeseite der daten­verarbeitenden Anlage zugeordnete externe Speicher­einheit, den sogenannten Hilfsspeicher (M 4), über­tragen wird (4), daß
l) nach dem Auslesen sämtlicher in dem Bewegungsspeicher (M 4 /richtig: M 27) ge­speicherter Bewegungsdaten (7) durch Verarbeiten der Bestandssätze des im Arbeitsspeicher gespeicher­ten Blockes unter Berücksichtigung der Bewegungsdaten die Veränderungen der entsprechenden Größen ermittelt (8), dabei neu aufgetretene Bewegungs­daten von untergeordneten Teilgrößen als Sätze mit neuen Bewegungsdaten ebenfalls in den Hilfs­speicher (M 4) übertragen (9) und
m) die verän­derten Bestandssätze in dem Ergebnisspeicher (M3) gespeichert werden,
n) daß vor dem Einlesen des nächsten Blocks von Bestandssätzen in den Arbeitsspeicher der Bewegungsspeicher (M2) und der Hilfsspeicher (M 4) in ihrer Wirkungsweise gegeneinander ausgetauscht werden (12) und
n) dieser Zyklus so lange fortgesetzt wird, bis sämtliche Bestandssätze abgearbeitet sind (11).

2.3 Streitverlauf

Das Patent betraf ein Computerprogramm, welches in Verbindung mit einem Computer, der einen Bestandspeicher, einen Bewegungsspeicher, einen Hilfsspeicher und einen Ergebnisspeicher aufwies, verschiedene abstrakte Datensätze auf Basis festgelegter Parameter strukturierte und den vier Speichern zuwies.

Neuheit und Erfindung lagen nach Darlegungen der Anmelderin allein auf der Organisations- und Rechenregel und nicht in den spezifischen Verbindungen mit der Computerhardware.

Die Anmelderin beschwerte sich, das BPatG habe der Beantwortung der Frage, ob der zu patentierende Gegenstand Technizität besitze, Erwägungen zur Neuheit und Erfindungshöhe einfließen lassen. Technizität sei jedoch vorrangig und unabhängig zu prüfen.

Nach ihrer Ansicht war die Organisations- und Rechenregel auf die Datenverarbeitungsanlage abgestimmt und demnach technisch.

Der BGH war jedoch anderer Auffassung.

Bereits die Aufgabe sei nicht auf eine konkrete Technologie gerichtet, sondern darauf:

Veränderungen einer Vielzahl von Hauptgrößen unter Berücksichtigung von Bewegungsdaten mit Hilfe einer datenverarbeitenden Anlage festzustellen.

Entgegen dem Argumente der Anmelderin prüfte der BGH nach der Beitragstheorie:

Die als neu und erfinderisch beanspruchte Lehre gehört nicht dem Bereich der Technik an.”

Dabei räumte er ein, dass ein kaufmännisch-organisatorischer Nutzeffekt einer technischen Erfindung nicht grundsätzlich entgegenstehe.

In der anspruchsgemäßen Organisations- und Rechenregel erkannte er jedoch keine technische Lösung. Die Ausführung durch eine Datenverarbeitungsanlage erachtete er allein als sprachlichen Trick:

Es handelt sich damit um eine Regel, durch deren schematische Befolgung gleichgelagerte Aufgaben lösbar sind, um dasjenige also, was in der mathematischen Terminologie als Algorithmus bezeichnet wird. Daß der Patentanspruch diese Rechenregel anders, nämlich in steter Verknüpfung mit den technischen Merkmalen der Anlage und des Verarbeitungsablaufs, formuliert, än­dert daran nichts: Nicht die sprachliche Einkleidung entscheidet darüber, ob eine Lehre technischer Natur ist oder nicht, sondern ihr sachlicher Gehalt.

Eine Organisations- und Rechenregel als fertige Lösung zur Vereinfachung und Beschleunigung von Sortierarbeiten sei als menschliche Verstandestätigkeit (= gedanklich-logische Anweisung) vom Patentschutz ausgeschlossen, auch wenn sie durch ein Computer automatisiert würde. Dabei griff er auf die Technizitätsdefinition aus “Rote Taube” (hier Entscheidung Nr. 1) zurück:

Die Verwendung technischer Mittel muß vielmehr Bestandteil der Problemlösung selbst sein, sie muß die Erzielung des kausal übersehbaren Erfolges bezwecken und darf nicht entfallen, ohne daß zugleich der angestrebte Erfolg entfiele.

Auch die Ausführung dieser Regel auf einem Computer, sei weder durch eine neuartige Konstruktion des Computers begleitet noch durch einen neuen Gebrauch:

Die Anwendung der Organisations- und Rechenregel auf eine elektronische Datenverarbeitungsanlage erfordert, wie die Anmelderin einräumt, keine neue, im Zeitpunkt der Anmeldung noch nicht geläufige Anordnung oder Konstruktion der Anlage im ganzen oder in ihren Einzelteilen.

Das Betreiben der Datenverarbeitungsanlage zur Durch­führung von Dispositions- und ähnlichen Rechnungen nach dem vorgeschlagenen Algorithmus […] macht lediglich von den bekannten Eigen­schaften der Anlage den bestimmungsgemäßen Gebrauch. Es wird mithin auch keine neue Brauchbarkeit der Anlage gelehrt“.

Die Erfindung verknüpfe die Organisations- und Rechenregel nur nach Art einer “Gebrauchsanweisung“.

Es fehle deswegen am Einsatz beherrschbarer Naturkräfte und und technischer Überlegungen.

2.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH

Technische Mittel im Anspruch seien nicht hinreichend für Technizität:

Die Regel, die als solche eine gedanklich-logische Anweisung darstellt, wird nicht dadurch technisch, daß bei ihrer Anwendung tech­nische Mittel – mag dies das Schreibgerät des nach ihr rechnenden Menschen oder eine Datenverarbeitungsanlage sein – benutzt werden.

Vielmehr müssten “im Technischen liegenden Überlegungen” erforderlich gewesen sein:

“Die Verwendung technischer Mittel muß vielmehr Bestandteil der Problemlösung selbst sein, sie muß die Erzielung des kausal übersehbaren Erfolges bezwecken und darf nicht entfallen, ohne daß zugleich der angestrebte Erfolg entfiele.”

Grundsätzlich könne der Effekt einer Erfindung auf nicht-technischem Gebiet liegen (mit Verweis auf BGH, GRUR 1966, 249, 250 – Suppenrezept; BGH, GRUR 1967, 590 – Garagentor).

Eine Verknüpfung einer untechnischen Rechenregel mit technischen Merkmalen könne zwar technisch sein. Allerdings entscheide nicht die sprachliche Einkleidung darüber, ob eine Lehre technischer Natur ist oder nicht, sondern ihr sachlicher Gehalt. Damit war die Kerntheorie ins Leben gerufen.

Ebenso könne eine Gebrauchanweisung für eine Technologie technisch sein. Allerdings müsse diese dazu auf technischen Überlegungen beruhen.

Grundsätzlich könne Software als Regel für eine Schaltung eines elektronischen Rechners patentierbar sein. Dann müsse jedoch ein neuer Aufbau eines Computers oder ein neuer Gebrauch gelehrt werden:

Die Lehre, eine Datenverarbeitungsanlage nach einem bestimmten Rechenprogramm zu betreiben, kann vielmehr nur patentfähig sein, wenn das Programm einen neuen, erfinderischen Aufbau einer solchen Anlage er­fordert und lehrt oder wenn ihm die Anweisung zu ent­nehmen ist, die Anlage auf eine neue, bisher nicht übliche und auch nicht naheliegende Art und Weise zu benutzen“.

In neuartigen Maßnahmen zur Problemanalyse und zur Darstellung von Informationen konnte der BGH keine technischen Maßnahmen erkennen:

Daß eine schöpferische Lei­stung in der Problemanalyse sowie der Auffindung und Dar­stellung des Rechenprozesses liegt, begründet deshalb die Patentierbarkeit nicht.”

Im Kriterium der Technik, sah der BGH allerdings das einig mögliche Abgrenzungskriterium zwischen patentierbaren  und nicht-patentierbaren softwarebasierten Erfindungen. Damit legte er in dieser Entscheidung auch den Grundstein für die spätere Gesetzesänderung im Jahr 2007:

Denn der Begriff der Technik erscheint auch sachlich als das ein­zig brauchbare Abgrenzungskriterium gegenüber andersar­tigen geistigen Leistungen des Menschen, für die ein Patentschutz weder vorgesehen noch geeignet ist.

2.5 Einordnung

Das Hauptargument der Anmelderin war Ihre Organisations- und Rechenregel als auf den Computer abgestimmt darzustellen, so dass damit der gesamte Anspruchsgegenstand als technisch qualifiziert werden müsste.

Diesem Argument ist der BGH durch eine Aufteilung beigekommen, die später als “Kerntheorie” Schule machen sollte. Er bestimmte einen wesentlichen Teil (Rechen- und Organisationsregel) des Anspruchs, den er als “sachlichen Gehalt” beschrieb und einen unwesentlichen Teil (Computer), den er zur “sprachliche Einkleidung” herabsetzte. Der wesentliche Teil müsse technisch sein. Für die an kaufmännischen-organisatorischen aber nicht an technischen Überlegungen orientierte Rechen- und Organisationsregel konnte dies nicht gelten. Damit war die Erfindung nicht technisch. Sie führte weder zu einem neuen Aufbau noch zu einem neuen Gebrauch eines bekannten technischen Mittels.

Auch die Beitragstheorie, gemäß der nur neue und erfinderische Aspekte auf Technizität geprüft werden sollten, scheint in dieser Entscheidung ihre Ausgangspunkt genommen zu haben.

Zumindest aus heutiger Sicht ebenfalls problematisch erscheint die Abgrenzung zwischen bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Computers mit einem neuen Programm und einem durch das neue Programm begründeten neuen Gebrauch des Computers. Der BGH erkannte vorliegend auf einen bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Computers mit einer neuen Organisations- und Rechenregel, wodurch der Regel keine Technizität zukommt. Mit anderen Worten, sie stelle nur eine “Gebrauchsanweisung” dar. Der BGH verneinte in der neuen Organisations- und Rechenregel einen neuen Gebrauch des Computers, der nach der damaligen Auffassung des BGH’s technisch einzuordnen gewesen wäre.

 

3. Die BGH-Entscheidung “Straken” von 1977

Die BGH Entscheidung “Straken” (GRUR 1977, 657) war die zweite anfängliche Entscheidung zu Softwarepatenten. Sie ist vor allem deswegen relevant, weil sie sich mit einer Simulation für eine technische Vorrichtung als Erfindung befasste. Wie auch die jüngste höchstrichterliche Entscheidung G1/19 des Europäischen Patentamts zeigt, ist die Rechtsprechung zur Patentierbarkeit von  softwarebasierten Simulationen im Speziellen immer noch nicht abgeschlossen.

3.1 Leitsatz

Rechenprogramme für elektronische Datenverarbeitungsanlagen, bei deren Anwendung lediglich von einer in Aufbau und Konstruktion bekannten Datenverarbeitungsanlage der bestimmungsgemäße Gebrauch gemacht wird, sind auch dann nicht patentfähig, wenn das bei der Anwendung der Programme erzielte Ergebnis auf technischem Gebiet verwendbar ist (Ergänzung zu BGH-Dispositionsprogramm).

3.2 Streitgegenständliche Ansprüche

Hauptanspruch

a) Rechenprogramm für eine datenverarbeitende Maschine zur Berechnung einer Linienschar zur Beschreibung der Oberfläche eines Körpers (Straken) nach vorgegebenen empirisch ermittelten, mit Fehlern behafteten Punktfolgen, die den angestrebten Verlauf von charakteristischen Kurven annähernd beschreiben,
dadurch gekennzeichnet,
b) daß durch Simulation der Verbiegung einer an geeigneten Punkten mit Gewichten belasteten, leicht biegbaren Latte und ihre Fixierung an einigen Stützpunkten derart, daß der angestrebte Kurvenverlauf weitestgehend erreicht wird, eine funktionale Abhängigkeit ermittelt wird, indem die Koeffizienten ai eines stückweise kubischen Polynoms f(x)=… nacheinander berechnet und in der angegebenen Weise in Beziehung gesetzt werden,
c) wobei T eine (M + 2) * (M + 2)-Matrix ist, die sich als Linearkombination von zwei Matrizen <<P->>und <<Q->>in der Form (…), (…)=(…) darstellt,
d) <<P->>die Matrix der Koeffizienten P_ik der linearen Ausdrücke, die bei der partiellen Ableitung der Summe der Abstandsquadrate T=… nach einem der unbekannten Koeffizienten q_ik der linearen Ausdrücke, die bei der partiellen Ableitung des Integrals der Verbiegungsenergie Sum(…) nach a_i entstehen,
e) M die Anzahl der vorgegebenen Stützwerte nach ai entstehen,
e) << eta gross>> eine Näherung des Energieintegrals,
f) LAMBDA ein frei zu wählender Parameter, der die Glätte der resultierenden Funktion beeinflußt;
g) U die Matrix der Koeffizienten der zu berücksichtigenden linearen Nebenbedingungen,
h) <<a Pfeil>>der Vektor der zu bestimmenden unbekannten Koeffizienten,
i) << kappa Pfeil>>der Vektor der zur Berücksichtigung der Nebenbedingungen eingeführten Lagrange’schen Multiplikatoren,
j) <<r Pfeil>> der Vektor der konstanten Glieder in den linearen Ausdrücken aus der Differentiation der Summe der Abstandsquadrate und
k) << eta Pfeil>> der Vektor der konstanten Glieder in den zu berücksichtigenden linearen Nebenbedingungen.

Hilfsantrag

a) Rechenprogramm für eine datenverarbeitende Maschine zur Berechnung einer Linienschar zur Beschreibung der Oberfläche eines Körpers (Straken) nach vorgegebenen empirisch ermittelten, mit Fehlern behafteten Punktfolgen, die den angestrebten Verlauf von charakteristischen Kurven annähernd beschreiben,
dadurch gekennzeichnet,
b) die folgenden Steuerbefehle in FORTRAN-Sprache für die datenverarbeitende Maschine:
[Befehle zur Umsetzung der gemäß Hauptantrag b) – k) in Fortran].

3.3 Streitverlauf

Patentamt und BPatG hatten eine Patentierung abgeleht. Beide hatten den zu patentierenden Gegenstand als nicht technisch erachtet.

Die Anmelderin meinte den technischen Charkter der Anmelderin daraus herleiten zu können, dass das Ergebnis eine Benutzung auf technischem Gebiet gestatte – nämlich die Berechnung einer Fahrzeugraumfläche, die auch als “Strak” bezeichnet wird. Dadurch sei eine neue Art gezeigt, eine Datenverarbeitungsanlage zu benutzen. Seit der Entscheidung “Dispositionsprogramm” (hier Entscheidung Nr. 2) sei dies eine hinreichende Bedingung für Technizität einer Erfindung.

Das BPatG argumentierte bei der Erfindung handelte es sich um eine “ihrem Wesen” untechnische Erfindung für eine technische Anwendung. Ein neuer Aufbau einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage sei weder durch den Hauptanspruch noch durch den Hilfsantrag beschrieben. Ebensowenig sei beschrieben eine bekannte Anlage auf neue und erfinderische Art zu benutzen.

Weder der Algorithmus gemäß Hauptantrag noch die Befehlsfolge des Hilfsantrags beschrieben laut BGH einen konkreten Gegenstand oder ein erfinderisches Verfahren:

In dem zur Entscheidung stehenden Fall beschreiben indes weder der Algorithmus nach dem Hauptanspruch noch die Programmfolge nach dem Hilfsanspruch einen konkreten Gegenstand. Formel und Befehlsfolge sind vielmehr nur abstrakte Denk- und Rechenschemata, mit deren Aufstellung die Erfindung abgeschlossen ist.”

“Ebensowenig wird aber durch die Formel oder die Befehlsfolge ein erfinderisches technisches Verfahren des Strakens beschrieben.

Die Erfindung gehe zwar von technischen Stand der Technik aus (manuell-empirisches Straken mit “physikalischen-technischen” Hilfsmitteln), sie verbessert diese Verfahren aber nicht, sondern macht sie überflüssig:

Die Erfindung erschöpft sich auch unter diesem Blickwinkel in der Auffindung einer Formel, eines Rechenverfahrens, das nicht selbst technisches Handeln ist, sondern ein bisher benutztes technisches Verfahren überflüssig macht. Technisches Gebiet wird erst wieder betreten bei der Verwertung der Ergebnisse, die die Anwendung des Rechenverfahrens auf konkrete Sachverhalte liefert.

3.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH

Eine Lehre, eine Datenverarbeitungsanlage nach einem bestimmten Rechenprogramm zu betreiben, könne nur patentfähig sein, wenn das Programm einen neuen, erfinderischen Aufbau oder einen neuen und erfinderischen Gebrauch der Anlage lehre (gemäß “Dispositionsprogramm”).

Hinsichtliche einer neuen Brauchbarkeit konkretisiert der BGH die Entscheidung “Dispositionsprogramm”. Diese sei nicht so zu verstehen…

,,…, daß für die Patentierbarkeit einer neuen, für sich gesehen des technischen Charakters entbehrenden Rechenregel (eines Rechenprogramms) allein die Verwendbarkeit der mit Hilfe der Regel (des Programms) erzielten Ergebnisse auf technischem Gebiet ausreichen könne.

Entsprechend der Entscheidung “Suppenrezept” (GRUR 1966, 249 ) und “Garagentor” (GRUR 1967, 590), stehe der Anerkennung eines Erfindungsgegenstands als technisch nicht entgegen, daß der Nutzeffekt der Erfindung auf nichttechnischem Gebiet liege. Diese Auffassung beruhe darauf, daß das durch die Anwendung der Erfindung erzielbare Ergebnis nicht mehr zum Gegenstand der Erfindung gehört:

“Ist der so umschriebene Erfindungsgegenstand technischer Natur, dann wird seine Patentierbarkeit nicht dadurch beeinträchtigt, daß er in einer der Erfindung nachgeordneten Stufe seiner Anwendung zu untechnischen Ergebnissen führt. Daraus ergibt sich zwingend, daß umgekehrt ein seiner Natur nach untechnischer Erfindungsgegenstand nicht durch den technischen Charakter oder die technische Verwertbarkeit seiner Anwendungsergebnisse zu einem technischen Gegenstand werden kann, da diese Anwendungsergebnisse selbst nicht Bestandteil der erfinderischen Aufgabenlösung sind.

Rechenregeln könnten zwar eine Technologie beschreiben (RGBl. 1907, 107 – Sprengkammer). Allerdings können sie ebenso wie das beschreibende Wort nicht selbst technischer Gegenstand sein. Technisch könne nur der beschriebene Gegenstand sein.

Zudem meinte der BGH, dass ein nicht-technisches Verfahren ein technisches Verfahren ersetzen könne.

3.5 Einordnung

Die oben zitierte Konkretisierung der Brauchbarkeit dahingehend, dass eine Verwendbarkeit in einem technischen Gegenstand für  Technizität nicht ausreiche, war ein unpräzise anzuwendendes Kriterium. Wann ein nicht-technisches Merkmal zu einer neuen technischen Brauchbarkeit führen könne, war damit nicht klarer geworden.  

Die Aussage des BGH, ein nicht-technisches Verfahren könne ein technisches Verfahren ersetzen, wirkt aus heutiger Sicht ebenfalls verwirrend. Man könnte auch andersherum argumentieren. Eine Ersetzung eines technischen Verfahrens kann nur durch ein technisches Verfahren erfolgen. Damit wäre ein hinreichendes Kriterium für Technizität formuliert gewesen.

Leider wurde im Verfahren nicht thematisiert, ob ein Straken, der mit der neuen Rechenregel erstellt wird – anstelle des beanspruchten Rechenprogramms – patentierter gewesen wäre – ob also das Problem in der Anspruchsformulierung lag. Aus heutiger Sicht kann man das vermuten.

 

4. Die BGH-Entscheidung “Prüfverfahren” von 1977

Die Entscheidung “Prüfverfahren” (BGH, GRUR 1978, 102) war die dritte anfängliche Entscheidung zu Softwarepatenten. Sie hat zum Gegenstand einen Algorithmus, den man auch als “Debugger” bezeichnen kann.

4.1 Leitsätze

Zur Frage der Patentfähigkeit eines Verfahrens zur Prüfung des Programmablaufs einer programmgesteuerten Datenverarbeitungsanlage.

4.2 Streitgegenständlicher Anspruch

a) Verfahren zur Prüfung des Programmablaufes in einer programmgesteuerten Datenverarbei­tungsanlage,
b) bei dem bei den Befehlen Wieder­holungen vorgesehen sind und
c) bei dem die Befehle für die Programmschritte nacheinander aus einem Speicher mit Hilfe von Adressen abgerufen werden, die in einem Befehlszähler auftreten, dadurch gekenn­zeichnet,
d) daß zur Erfassung von feh­lerhaften Programmschritten Programmschleifen wiederholt abgewickelt werden, für die die Adresse für den jeweils ersten Programmschritt in ein Anfangsregister (A) und die Adresse für den jeweils letzten Programmschritt in ein Enderegister (E) eingegeben ist,
e) daß eine Programmschleife jeweils durch Übertragung der Adresse für den ersten Programmschritt in den Befehlszähler (B) wiederholt wird, wenn ein Vergleich die Gleichheit der im Befehlszähler (B) infolge dessen Weiterzählens erreichten Adresse mit der im Enderegister (E) stehenden Adresse meldet, und
f) daß die Programmschleife durch Eingeben anderer Adressen in Register jeweils verändert wird, wenn die Sichtbar­machung und die Überwachung der Befehle der durchlaufenden Porgrammschleife keinen Fehler anzeigt.

4.3 Streitverlauf

In einem Einspruchsverfahren hatte das DPMA das Patent zunächst erteilt. Der daraufhin eingelegten Beschwerde hatte das BPatG stattgegeben und das Patent mangels Technizität widerrufen, weil das letzte Anspruchsmerkmal f ein “abwägendes und entscheidendes Tätigwerden des Menschen” umfasste.

Der BGH konnte der Vorgehensweise des BPatG nicht zustimmen. Er verlangte zunächst eine Identifikation des Kerns der Erfindung und ob …

… demzu­folge die Verknüpfung der Gedankenschritte mit technischen Merkmalen (Schaltungsanordnung, Maschinenteile) der als erfinderisch beanspruchten Lehre in Wahrheit nicht zuge­hört.

Dementsprechend wies er den Sachverhalt zur erneuten Prüfung an das BPatG zurück. Er schloss dabei nicht aus, dass vorliegend ein neuer, erfinderischer Aufbau oder eine neue Verwendung eines Computers gelehrt würde, insbesondere weil nicht abzusehen sei…

… unter welchen möglicherweise wesent­lich veränderten Gesichtspunkten das vom Patentgericht als nicht technisch bezeichnete Merkmal f zu beurteilen sein wird“.

Nach Auffassung des BGH mache das Argument des gedanklich-logischen Konzeptes in diesem Fall wenig Sinn, weil ein konkretes Verfahren beansprucht würde:

“In diesem Zusammenhang besteht Anlaß zu dem Hinweis, daß auch der zuweilen zur Charakte­risierung eines Verfahrens unter Einsatz einer EDV-Anlage verwendete Begriff des gedanklich-logischen Konzepts für die Beurteilung des Anmeldungsgegenstandes wenig ergiebig ist. Die Anmeldung hat nicht ein Konzept – das heißt einen gedanklichen Entwurf, wie er letztlich allen Verfah­ren, technischen wie untechnischen, zugrunde liegt – zum Gegenstand, sondern ein Verfahren, das heißt eine Regel zum praktischen Handeln, die das Stadium des Konzipierens bereits hinter sich gelassen hat.”

Das Merkmal f sei zudem möglicherweise nicht mehr Bestandteil der Erfindung. In diesem Fall könne es nicht technizitätshindernd sein:

“[G]egebenenfalls [habe sich das BPatG] ] auch der Frage zuzuwen­den […], ob das Merkmal f – falls es als einziges von allen Merkmalen der Erfindung untechnischer Art ist – der Patenterteilung etwa deshalb nicht entgegenstehen würde, weil es in Wahrheit nicht Bestandteil der Erfin­dung ist, sondern lediglich einen Hinweis auf eine Mög­lichkeit der Auswertung der bei Anwendung des angemelde­ten Verfahrens erzielten Ergebnisse darstellt.

4.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH

Für den technischen Charakter und damit die Patentierbarkeit einer Lehre komme es nicht auf deren sprachliche Einkleidung an, insbe­sondere nicht darauf, ob die Lehre in den Patentansprüchen unter ständiger Verknüpfung mit den zu ihrer Ausführung zweckmäßig heranzuziehenden technischen Einrichtungen formuliert worden sei, mit Verweis auf “Dispositionsprogramm” (hier Entscheidung Nr. 1).

Entscheidend sei vielmehr, welches der sachliche Gehalt der beanspruchten Lehre ist, auf welchem Gebiet ihr “erfinderischer Kern” liege.

Zudem betont der BGH die Offenheit des technischen Erfindungsbegriffes für Computersoftware:

“Auf der anderen Seite hat der Senat keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, daß Computerprogramme schlecht­hin nicht patentierbar seien. An einer solchen generellen Aussage würde sich der Senat schon deshalb gehindert sehen, weil sich nicht absehen läßt, welche Arten von Aufgaben in Zukunft einer Lösung mit Hilfe des Einsatzes datenverarbeitender Maschinen zugeführt werden können.”

4.5 Einordnung

Der BGH bestätigte in der Entscheidung “Prüfverfahren” die Kerntheorie, welche in der Entscheidung “Dispositionsprogramm” angelegt wurde. Er bezieht sich dabei explizit auf den “Kern” einer Lehre.

Der “Kern” einer Lehre entspricht deren sachlichem Gehalt und müsse bestimmt werden. Die vom BPatG verwendete Methodik sei dagegen “vordergründig und erschöpft die Problematik nicht“.

Ein neues und interessantes Argument, welches zumindest noch nicht im Zusammenhang mit Softwarepatenten geäußert  wurde, beinhaltet der Beschluss auch. Demnach müsse nicht jedes Anspruchsmerkmal zur Erfindung gehören, sondern könne sich auch auf dessen Anwendung beziehen. Dieses Argument war relevant, weil z.B. in der Entscheidung “Straken” mit Verweis auf noch frühere Entscheidungen die Beziehung zwischen technischem Sachverhalt und nicht-technischem Ergebnis klargestellt wurde (siehe oben). Demnach konnte ein technischer Gegenstand sich durchaus auf ein nicht-technisches Ergebnis beziehen. Wenn ein Anspruch in ein technisches Mittel auf der einen Seite und nicht-technisches Ergebnis bzw. nicht-technische Anwendung auf der anderen Seite aufteilbar wäre, wäre die Lehre dieses Anspruchs gemäß BGH technisch.

 

5. Die BGH-Entscheidung “Kennungsscheibe”, 1977

Die Entscheidung “Kennungsscheibe” (BGH, GRUR 1977, 152) beschäftigt sich nicht mit einer Software sondern mit dem Problem der Darstellung einer Information. Dennoch wird sie hier vorgestellt, da Informationsdarstellungen oft von Softwareprogrammen auf Computern generiert werden. Sie erging zudem im Gebrauchsmusterrecht, für das die gleichen gesetzlichen Vorgaben für Technizität gelten und galten wie im Patentrecht.

5.1 Leitsätze

Eine Neuerung, die in der Schaffung einer markierten Scheibe als eines Markierungsträgers besteht, verkörpert eine technische Lehre und ist gebrauchsmusterschutzfähig.

5.2 Streitgegenständlicher Anspruch

Hauptanspruch

a) Im Betriebszustand optisch erkennbare Markierungen an einem Plattenstapel für einen Plattenspeicher,
b) bei dem als Speichermedium mehrere magnetisierbare, in der Drehbewegung abtastbare Platten übereinander konzentrisch auf einer Nabe festgelegt und an der Oberseite des Plattenstapels durch eine Abdeckplatte gegen Verstaubung geschützt sind,
gekennzeichnet durch
c) eine konzentrisch zu der Achse des Plattenstapels auf der Oberseite der Abdeckplatte angeordnete Kennungsscheibe, die axialsymmetrisch aufgebrachte, farbige Markierungen trägt.

Hilfsantrag

a) Kennungsscheibe für einen Plattenstapel eines Plattenspeichers,
b) bei dem als Speichermedium mehrere magnetisierbare, in der Drehbewegung abtastbare Platten übereinander konzentrisch auf einer Nabe festgelegt und an der Oberseite des Plattenstapels durch eine Abdeckplatte gegen Verstaubung geschützt sind,
dadurch gekennzeichnet,
c) daß sie konzentrisch zu der Achse des Plattenstapels auf der Oberseite der Abdeckplatte angeordnet ist und axialsymmetrisch aufgebrachte, farbige Kennzeichen trägt, die aufgrund der Drehbewegung des Plattenstapels Kreisringe bilden.

5.3 Streitverlauf

Das Patent betraf eine Kennungsscheibe, welche optisch wahrnehmbare Markierungen aufwies, so dass ein Ablesen von Information möglich war, während sich die Kennungsscheibe dreht.

Die Gebrauchsmusterstelle hatte die Anmeldung zurückgewiesen, weil neben technischen Merkmalen auch Markierungen mit Bedeutungsgehalt beansprucht waren.

Das BPatG wies die Beschwerde des Anmelders zurück. Es hatte im Hauptantrag allein eine Verwirklichung eines nicht-technischen Gebrauchszwecks gesehen. Den Hilfsantrag hatte es ebenfalls zurückgewiesen.

Die Anmelderin beschwerte sich. Insbesondere im Hilfsantrag seien keine Merkmale mehr enthalten, die “durch ihre Bedeutungsfunktion wirksam würden“.

Der BGH konnte dieser Auffassung nicht folgen. Technizität sei methodisch durch die Kerntheorie zu identifizieren:

Die Beurteilung der Frage, ob eine Lehre technischer Natur ist oder nicht, entscheidet deren sachlicher Gehalt” (zitierend: “Dispositionsprogramm”).

Ob eine Technologie vorliege, bestimme sich anhand der Technizitätsdefinition aus der Entscheidung “Rote Taube”. Die gelte für Patente ebenso wie für Gebrauchsmuster.

Dabei gehört die menschliche Verstandestätigkeit nicht zu den Naturkräften gemäß dieser Definition:

Die menschliche Verstandestätigkeit selbst gehört nicht zu den beherrschbaren Naturkräften im Sinn dieser Begriffsbestimmung; vielmehr sind nur solche Naturkräfte gemeint, die außerhalb der menschlichen Verstandestätigkeit liegen und mit deren Hilfe von Menschen beherrscht werden (zitierend: “Dispositionsprogramm”).

Der kausal übersehbare Erfolg muss zudem unmittelbare Folge des Einsatzes der Naturkräfte sein (gem. BGH  GRUR 1975, 549 – Buchungsblatt).

Der BGH stellte ebenfalls fest, dass ein nicht-technischer Zweck (der nicht mit dem notwendigen kausal übersehbaren Erfolg gleichgesetzt werden darf) kein hinreichender Grund für mangelnde Technizität sei:

Der Gebrauchszweck dieser Neuerung, die Plattenstapel im Betriebszustand unterscheidbar und deren Inhalt während der Umdrehung ablesbar zu machen, steht der Zugehörigkeit der Vorrichtung zum Bereich der Technik nicht entgegen, auch wenn dieser Gebrauchszweck nicht technisch ist.

Dabei legte der BGH großes Gewicht auf die Formulierung der Ansprüche:

Die den Markierungen beigelegte Bedeutung, deren Erkennung allerdings eine rein geistige Tätigkeit des Menschen erfordert und die deshalb kein technisches Merkmal ist, liegt außerhalb der technischen Raumform und vermag Bedenken gegen den technischen Charakter des Anmeldungsgegenstandes nicht zu begründen, vorausgesetzt, daß die Schutzansprüche entsprechend gefaßt werden.

Zudem vermisste der BGH vom BPatG eine Ermittlung des sachlichen Gehalts, nicht nur des Hauptanspruchs, sondern der Anmeldung:

Es hätte sich deshalb mit dem sachlichen Gehalt der Anmeldung befassen und insbesondere prüfen müssen, ob in dem Vorschlag, auf der Oberseite der Abdeckplatte des Plattenstapels eine mit Markierungen versehene Kennungsscheibe anzuordnen, ein technischer Raumformgedanke zu erblicken ist. Es hätte die Beschwerde gegen den Beschluß der Gebrauchsmusterstelle erst zurückweisen dürfen, wenn sich die Anmelderin nach der gebotenen Erörterung (§ 41 f. PatG) nicht bereit gefunden hätte, die Schutzansprüche auf die technischen Merkmale der beschriebenen Neuerung abzustellen.

Der BGH erkannte in der Anmeldung eine konstruktuive Umgestaltung einer technischen Vorrichtung (der Kennscheibe):

Derartige konstruktive Neu- und Umgestaltungen gehören zum Bereich der Technik, denn sie setzen die physikalische Einwirkung auf geeignetes Material – die planmäßige Benutzung von außerhalb der menschlichen Verstandestätigkeit liegenden, von dieser beherrschten Naturkräfte – mit einem unmittelbar in Erscheinung tretenden konstruktiven Ergebnis voraus“.

Der Gebrauchszweck, den Plattenstapel im Betriebszustand unterscheidbar und deren Inhalt ablesbar zu machen, sei zwar nicht-technisch. Dies stehe der Technizität der hilfsweise beantragen Vorrichtung (s.o.) nicht entgegen. Damit wurde der Sachverhalt an das BPatG zurückverwiesen.

5.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH

Der BGH bestätige auch für das Gebrauchsmusterrecht, dass nicht-technische Ergebnisse einer Patentierung nicht entgegenstehen:

Von dem technischen Ergebnis, dem kausal übersehbaren Erfolg, ist die Wirkung zu unterscheiden, die das technische Ergebnis auslöst. Diese kann nicht-technischer sein, z.B. auf geschmacklichem, ästhetischem, betriebswirtschaftlichem, kaufmännisch-organisatorischem oder medizinischem Gebiet liegen.

Diese Ergebnisse seien aber vom kausal übersehbaren Erfolg gemäß der Technizitätsdefinition aus der Entscheidung “Rote Taube” zu unterscheiden:

Von dem erforderlichen unmittelbaren technischen Ergebnis, dem kausal übersehbaren Erfolg, ist nämlich die Wirkung zu unterscheiden, die das technische Ergebnis auslöst und die außertechnischer Natur sein, z. B. auf geschmacklichem, ästhetischem, betriebswirtschaftlichem, kaufmännisch-organisatorischem oder medizinischem Gebiet liegen kann” (mit Verweis auf die Entscheidungen BGH in GRUR 1966, 249, 250 – Suppenrezept; 1967, 590, 591 – Garagentor; 1975, 549 – Buchungsblatt; “Dispositionsprogramm”).

Die Erkennung einer Bedeutung einer Information (hier: den Markierungen der Kennscheibe), erfordert eine rein geistige Tätigkeit. Sie ist deshalb kein technisches Merkmal.

Für die Beurteilung der Technizität ist der sachliche Gehalt der Anmeldung maßgeblich.

5.5 Einordnung

Der BGH bestätigte in der Entscheidung “Kennungsscheibe” auch für das Gebrauchsmusterrecht die Kerntheorie als notwendiges methodisches Mittel zur Ermittlung der Technizität einer Erfindung mit technischen und nicht-technischen Merkmalen. Gleichzeitig betonte er abermals, dass ein nicht-technisches Ergebnis der Technizität nicht im Weg stehen muss.

Letztendlich müsse sich ein nicht-technisches Ergebnis von dem notwendigen kausal übersehbaren Erfolg, der technisch sein muss, unterscheiden.

Das BPatG, so rügte der BGH, hätte zudem auf das Problem der richtigen Formulierung der Schutzansprüche eingehen müssen. Zudem hätte es den Sinngehalt der Erfindung aus den kompletten Anmeldungsunterlagen und nicht allein aus dem Hauptanspruch, erfassen müssen.

 

6. Die BGH-Entscheidung “Fehlerortung”, 1978

Die Entscheidung “Fehlerortung” (BGH, GRUR 1978, 420) betraf ein Verfahren zum automatischen Testen eines Computers. Automatisierte Testverfahren sind weit verbreitet, um komplizierte technische Systeme hinsichtlich ihrer Funktionen strukturiert prüfen zu können.

6.1 Leitsätze

1. Zur Frage der Patentfähigkeit eines Verfahrens zur Ortung eines Fehlers einer Datenverarbeitungsanlage.

2. – nicht relevant für Softwarepatente –

6.2 Streitgegenständlicher Anspruch

a) Verfahren zur Ortung eines Fehlers von mehreren möglichen Fehlern einer Speicher, Register o.dgl. enthaltenden Einheit einer Datenverarbeitungsanlage,
b) bei dem die Einheit durch die Ausführung von Testfällen geprüft wird und die Reihenfolge der auszuführenden Testfälle vom Ergebnis der vorhergehenden Testfälle unabhängig ist,
dadurch gekennzeichnet,
c) daß auf die Einheit nacheinander Testfälle als Folge von Testketten gegeben werden,
d) wobei jede Testkette aus einer solchen Reihenfolge von Testfällen besteht, daß ein bei jedem Testfall einer Testkette auftretendes negatives Ergebnis genau einen Fehler identifiziert, und
e) daß diejenige Testkette signalisiert wird, von der alle Testfälle durch die Einheit negativ beantwortet werden.

6.3 Streitverlauf

Das DPA hatte auf einen Einspruch hin das Patent wegen fehlender Technizität versagt.

Das BPatG hatte die Beschwerde abgewiesen. Es erachtete den wesentlichen Teil der Erfindung in Merkmal d) und erkannte darin eine nicht-technische Organisationsregel, die es gemäß der Kerntheorie für die Analyse zur Technizität allein zu beachten hätte. Das “Schwergewicht” sei die Erstellung eines Testprogramms mit den Eigenschaften von Merkmal d.

Dagegen richtete sich die Rechtsbeschwerde der Anmelderin.

Sie sah in der Erfindung eine spezielle Art der Einwirkung auf die zu prüfende Einheit eines Computers. Dies bedinge ein neuartiges Prüfgerät. Die Auswahl der Testfälle beziehe sich nicht auf kaufmännische oder organisatorische Regeln. Auch seien die Signalfolgen, welche die Testfälle im Computer repräsentierten, nur unter Ausnutzung von Naturkräften zu erzeugen.

Im Gegensatz zur Entscheidung “Dispositionsprogramm” (hier Entscheidung Nr. 2) könne das beanspruchte Testverfahren zudem nicht ohne Computer ausgeführt werden. Und gedanklich-logische Konzeptionen würden bei allen technischen Erfindungen eine Rolle spielen und dürften bei Softwareerfindungen nicht diskriminierend zu einem Ausschluss führen.

Diesen Argumenten folgte der BGH nicht.

Den Kern der Erfindung sah er (wie das BPatG) in der Auswahl der Testfälle gemäß dem Anspruchsmerkmal d, die eine Organisationsregel darstelle:

Der Erfindungsgedanke besteht in seinem Kern darin, das vorbekannte, aber umständliche, zeitraubende und unwirtschaftliche Kombinationstestverfahren dadurch zu verbessern, daß vor der Eingabe der Testfälle deren Ordnung nach einem bestimmten, die Erreichung des Erfindungszwecks sicherstellenden Prinzip vorgenommen wird.

Solche Organisationsregeln sind ihrem Wesen nach nicht technisch; sie stellen gedanklich-logische Anweisungen dar, auch dann, wenn sie so formuliert werden, daß die Formulierung auf eine Verwendung technischer Mittel wie einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage abzielt.

Dass das Verfahren ein neuartiges Prüfgerät bedingt, sei nicht als technische Lösung beansprucht, sondern nur als Aufgabe beschrieben:

Voraussetzung für die Patentfähigkeit wäre aber selbstverständlich, daß die als Organisationsregel formulierte Lehre auch in ihrem technischen Aspekt eine vollständige Problemlösung bietet. Dies trägt die Anmelderin selbst nicht vor. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, die Durchführung der von ihr aufgefundenen Regel erfordere den Einsatz einer im Stand der Technik nicht vorhandenen Datenverarbeitungsanlage. Damit ist aber allenfalls dargelegt, daß die untechnische Organisationsregel nach dem Anspruch 1 des Hauptantrags zugleich eine auf technisches Gebiet übergreifende Aufgabenstellung enthält, nicht jedoch bereits die Lösung; daß der Aufgabenstellung schon ein erfinderischer Gehalt zuzuerkennen sei, ist dem Vorbringen der Anmelderin nicht zu entnehmen.

Auch in der Auswahl der Testfälle konnte der BGH keine Technizität begründet sehen:

Es trifft zwar zu, daß in der Wahl unter mehreren zur Verfügung stehenden Gegenständen oder Maßnahmen eine technische Lehre zu sehen sein kann. Allein dies setzt zumindest voraus, daß es sich bei den Auswahlobjekten um technische Gegenstände oder Maßnahmen handelt, und das ist hier gerade nicht der Fall.”

Auch die Technizität der den Testfällen zugrunde liegenden Signalfolgen könne die Technizität der vorgeschlagen Lösung nicht begründen, denn das würde Technizität für alle computergelösten Probleme bedeuten (mit Verweis auf “Dispositionsprogramm”).

In der Formulierung des Hauptanspruchs konnte somit kein Patent erteilt werden.

6.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH

“Bei der Erörterung der Frage, ob das entscheidende Merkmal technischer oder untechnischer Art ist, ist […] von den Grundsätzen [auszugehen], die der beschließende Senat in seinen Entscheidungen “Dispositionsprogramm” (BGHZ 67, 22), “Straken” (GRUR 1977, 657 ) und “Prüfverfahren” (NJW 1977, 1635 2 ) aufgestellt hat.”

Insbesondere ist dabei durch Anwendung der Kerntheorie, der wesentliche Aspekt der Erfindung zu identifizieren und dieser auf Technizität zu prüfen. Dabei können auch nicht-technische Aspekte im Sinne eines Programms einer Organisations- und Rechenregel für einen Computer…

… zugleich eine technische, dem Patentschutz zugängliche Anweisung sein […], wenn sie zugleich den neuen, erfinderischen Aufbau einer solchen Anlage oder eine neue, erfinderische Brauchbarkeit einer bekannten Anlage lehrt.

Das Vorhandensein gedanklich-logische Konzepte sei nicht als Kriterium für Technizität geeignet, mit Verweis auf “Prüfverfahren” (hier Entscheidung Nr. 4)

6.5 Einordnung

Der BGH wendete in der Entscheidung “Fehlerortung” die seit der Entscheidung “Dispositionsprogramm” (hier Entscheidung Nr. 2) entwickelten Prüfungskriterien für Software an. Neues zu Patenten auf Software ist der Entscheidung kaum zu entnehmen. Entsprechend fehlt auch ein konkreter Leitsatz. Trotzdem enthält die Entscheidung einige für die Praxis wichtige Aspekte.

Gemäß der Kerntheorie sei bei einer Erfindung mit nicht-technischen und technischen Merkmalen festzustellen, auf welchem Aspekt der Kern der beanspruchten Lehre liege. Dieser müsse zudem in einer (technischen) Lösung liegen, wenn nicht zusätzlich die Kriterien für eine Aufgabenerfindung erfüllt seien.

Daraus ergibt sich das Problem den Anspruch so zu formulieren, dass dieser eine technische Problemlösung lehrt (vgl. Storch GRUR 1978, 422f.). Dies stellt für den Anmelder von Technologien mit nicht-technischen Merkmalen auch heute noch eine große Herausforderung dar.

 

7. Die BGH-Entscheidung “Antiblockiersystem”, 1980

Der Entscheidung “Antiblockiersystem” (BGH, GRUR 1980, 849) aus dem Jahr 1980 bildet den Abschluss des ersten Teils der Rechtsprechungsübersicht zu Softwarepatenten von 1969 bis 2007. Sie spielte deswegen eine wichtige Rolle, weil durch sie die Gefahr korrigiert wurde, dass Software – und damit auch technische Software – per se als Organisations- und Rechenregel qualifiziert und daraufhin vom Patentschutz ausgeschlossen würde. Damit war eine bedeutende Konkretisierung der in der Entscheidung “Dispositionsprogramm” (hier Entscheidung Nr. 2) eingeführten methodischen Analyse der Technizität von Softwarepatenten verbunden.

7.1 Leitsätze

Zur Frage der technischen Erfindung.

7.2 Streitgegenständlicher Anspruch

a) Antiblockierregelsystem für druckmittelbetätigte Fahrzeugbremsen mit einer Drehverzögerungs-Schaltvorrichtung,
b) die in Abhängigkeit vom Drehverhalten des überwachten Rades elektrische Signale erzeugt und ein Ein- und Auslaßventil betätigt,
c) wobei – wenn kein Signal vorhanden ist – das Einlaßventil geöffnet und
d) das Auslaßventil geschlossen ist, so daß der Bremsdruck ansteigen kann, wobei weiterhin während des Auftretens eines bestimmten Verzögerungssignals das Einlaßventil schließt und
e) das Auslaßventil öffnet, so daß der Bremsdruck fällt, und
f) wobei schließlich nach der Druckabsenkung unter Verwendung einer Drehbeschleunigungs-Schaltvorrichtung ein Signal erzeugt wird, das bei wieder geschlossenem Auslaßventil das Eingangsventil geschlossen hält, so daß der Druck bis zum Unterschreiten eines Beschleunigungswertes im wesentlichen konstant gehalten wird,
dadurch gekennzeichnet,
g) daß in bekannter Weise eine bistabile Schaltvorrichtung (6, 52, 63) vorgesehen ist und daß diese bistabile Schaltvorrichtung (6, 52, 63) mit der Drehverzögerungs-Schaltvorrichtung (V 2 -, V 2* -Geber) und mit der Drehbeschleunigungs-Schaltvorrichtung (B-, B * -Geber) derart verbunden ist,
h) daß sie bei Auftreten des Verzögerungssignals (V 2, V 2*) in einen Schaltzustand gelangt, in der sie über die Ventile (E, A) eine Druckabsenkung bewirkt und
i) daß sie bei Auftreten eines Beschleunigungssignals (B, B *) in eine Schaltstellung rückgekippt wird, in der sie keinen Einfluß auf die Ventile (E, A) ausübt,
j) so daß nunmehr allein durch das Beschleunigungssignal die Druckkonstanthaltung bewirkt wird.

7.3 Streitverlauf

Das Patent war auf eine Regelung für ein Antiblockiersystem gerichtet, wobei der Regler auf Basis technischer Größen teilweise in Software implementiert wurde.

Das BPatG hatte eine Patentierung mangels Technizität versagt. Es konnte keinen neuen und erfinderischen Aufbau eines Antiblockiersystems erkennen. Es sah im Programm nur eine Bremsregel, welche “nach Art eines Programms” aufzeige, welche Signale eine Bremse steuerten.

Dem trat der BGH deutlich entgegen.

Gemäß der Technizitätsdefinition von “Rote Taube” (hier Entscheidung Nr. 1) stellte der BGH fest, dass vorliegend eine Anweisung zum Planmäßigen Handeln vorlag. Dieses Handeln erfolgte zudem unter Einsatz berechen- und beherrschbarer Naturkräfte. Damit war der beanspruchte Gegenstand technisch.

In dem Einsatz von Naturkräften sah der BGH den Unterschied zum Hauptantrag in der Entscheidung “Dispositionsprogramm”. Dort wurde das Problem ausschließlich mit Mitteln der Logik gelöst, d.h. ohne Zuhilfenahme von Naturkräften allein mit der menschlichen Verstandestätigkeit.

Somit ging die Sache zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an das BPatG zurück.

7.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH

Die Frage nach einem neuen und erfinderischen Aufbau eines bekannten Systems stelle sich nur, wenn das Programm nicht-technischer Natur ist:

“Nur in einem solchen Fall sind die Ausführungen des erkennenden Senats in der Dispositionsprogramm-Entscheidung von Bedeutung, daß die (nicht technische) Lehre, eine Datenverarbeitungsanlage nach einem bestimmten Rechenprogramm zu betreiben, nur patentfähig sein könne, wenn das (nicht technische) Programm einen neuen, erfinderischen Aufbau einer solchen Anlage erfordere und lehre oder wenn dem (nicht technischen) Programm die Anweisung zu entnehmen sei, die Anlage auf eine neue, bisher nicht übliche und auch nicht naheliegende Art und Weise zu benutzen. Dann erfordere das nicht-technische Programm einen neuen, erfinderischen Aufbau oder dessen neue und erfinderische Nutzung.”

Der BGH erklärte zudem die Beitragstheorie aus “Dispositionsprogramm” (hier Entscheidung Nr. 1) für überholt:

Für den technischen Charakter einer Erfindung ist es gleichgültig, ob die zum Einsatz gelangenden Vorrichtungen als solche bekannt sind oder nicht.

Eine Beschreibung durch Wirkungsangaben, z.B. ein zu erreichendes Schaltergebnis, stehe einem technischen Charakter nicht entgegen.:

Bei einer Lehre, die sich mit verschiedenartigen technischen Mitteln verwirklichen läßt, um damit unmittelbar einen übersehbaren Erfolg zu erzielen, ist der Anmelder nicht genötigt, in den Patentanspruch die konkreten Mittel aufzunehmen, mit denen die neue, als erfinderisch beanspruchte prinzipielle Lehre verwirklicht werden kann. Vielmehr genügt es, die Lehre mit dem alle vorgeschlagenen Mittel kennzeichnenden Prinzip im Patentanspruch zu umzuschreiben, wenn der Fachmann die Erfindung aufgrund des Gesamtinhalts der Anmeldungsunterlagen an Hand seines Fachkönnens ohne weiteres verwirklichen kann“.

7.5 Einordnung

Obwohl die Entscheidung “Antiblockiersystem” ohne Leitsatz blieb, hat sie den Kurs der Patentierung von Software wesentlich beeinflusst.

Zunächst hat der BGH die Beitragstheorie gekippt. Gemäß dieser Methodik, die in der Entscheidung “Dispositionsprogramm” aufgestellt wurde, sollten die neuen und erfinderischen Teile eines beanspruchten Gegenstandes technisch sein. Die neue Vorgabe, nach der Technizität unabhängig von Neuheit und Erfindungshöhe zu prüfen ist, hat sich bis heute gehalten.

Vor allem aber hat der BGH in dieser Entscheidung die in der Entscheidung “Dispositionsprogramm” aufgestellte Anforderung konkretisiert, dass ein Programm zu einer neuen und erfinderischen Datenverarbeitungsanlage oder zu einem neuen und erfinderischen Gebrauch führen müsse. – Dies sollte – so die Konkretisierung – allein für nicht-technische Programme gelten. Technische Programme, z.B. der vorliegende Regelalgorithmus, müssen diese Anforderung nicht erfüllen.

Zusätzlich hatte der BGH auch noch funktionale Merkmale im Anspruch erlaubt, wenn diese ausreichend offenbart seien. Dies wurde erst viel später wieder aufgegriffen, in der Entscheidung “Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren” (BGH GRUR 2013, 120).

Alle drei Neuerungen wären wohl leitsatzfähig gewesen. Leider sah der BGH das anders.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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