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BGH rotierendes Menü

Die Entscheidung „rotierendes Menü“ des BGH (14.01.2020, X ZR 144/17) zum Thema graphische Benutzeroberflächen konkretisiert, was der Fachmann als offenbart mitliest und welche Merkmale aufgrund von Patentierbarkeitsausschlüssen bei der Analyse der erfinderischen Tätigkeit außer Acht gelassen werden müssen.

I. Streitpatent und Hauptanspruch

Das streitgegenständliche europäische Patent EP 888 687 schützte ein TV-Menü zum Auswählen verschiedener Menüpunkte, die entlang einer gekrümmten Bahn angeordnet sind. Die Bahn wird dabei nur unvollständig auf einem Bildschirm gezeigt und setzt sich gedacht außerhalb des Bildschirms fort. Fig. 2 veranschaulicht eine Implementierungsform:

Der vom BGH gegliederte und übersetzte Hauptanspruch lautete:

1. Die elektronische Vorrichtung umfasst
1.1 wenigstens eine Anzeige und
1.2 einen Controller.
2. Der Controller ist dazu vorgesehen, dafür zu sorgen, dass die Anzeige ein Menü darstellt.
3. Das Menü
3.1 ist rotierend,
3.2 umfasst eine Anzahl von Menüpunkten und
3.3 ist auf der Anzeige außerhalb der Mitte vorgesehen,
3.3.1 so dass wenigstens ein Menüpunkt zu jeder Zeit von der Anzeige weggedreht werden kann,
3.3.2 wodurch ohne Änderung des Formats eine beliebige Anzahl von 
Punkten zu dem Menü hinzugefügt werden kann.

II. Gegenstand von Hauptanspruch mitgelesen und nahegelegt

Aus dem Stand-der-Technik zitierte die Nichtigkeitsklägerin die europäische Patentanmeldung EP 0 626 635. Darin wird eine graphische Benutzerschnittstelle mit nur einem teilweise dargestellten Objektrad zur Auswahl verschiedener Menüfelder offenbart:

Unbestritten waren dadurch die Merkmale 1, 1.1, 3.2, 3.3, 3.3.1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Und auch ein Controller (Merkmal 2) zum Steuern eines rotierenden Menüs (Merkmal 3.1) war für den BGH eindeutig und unmittelbar offenbart.

Streitig war der Stand-der-Technik zum Merkmal 3.3.2.

Der BGH entnahm der Entgegenhaltung jedoch eindeutig und unmittelbar, dass das mittels eines Objektrades dargestellte Menü um eine beliebige Anzahl von Menüpunkten erweitert werden kann. Das ist überraschend, da – wie der BGH selbst einräumt – dieses Merkmal nicht explizit in der Entgegenhaltung erwähnt ist. Dennoch sah er dieses Merkmal in den dort offenbarten technischen Informationen so deutlich, dass es von einem Fachmann mitgelesen wird.

Auf dieser Basis hielt der BGH darüber hinaus den in Merkmal 3.3.2 zusätzlich definierten Verzicht auf eine Formatänderung beim Hinzufügen von Menüpunkten für nahegelegt. Wie diese Erweiterung des oben dargestellten Menüs auf die in der Entgegenhaltung erwähnten bis zu 500 Menüpunkte ohne Formatänderung gelingen sollte, wurde in der Urteilsbegründung nicht erklärt. Gänzlich unverständlich ist dem Autor diese Argumentation dennoch nicht, insbesondere wenn nur wenige Menüpunkte hinzugefügt werden.

III. Konkretisierende Merkmale für erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen

Im ihrem Hilfsantrag beanspruchte die Patentinhaberin zusätzlich die Merkmale:

4. Das Menü wird mit einer Perspektive wiedergegeben,
4.1  in der es wie in einer sichtbaren Ebene erscheint, die sich nicht 
parallel zu dem Schirm erstreckt,
4.2  wobei die Perspektive durch Änderung entweder der Form oder der 
Größe wenigstens einer der Menüpunkte erreicht wird.

In diesen Merkmalen sah der BGH jedoch keinen Beitrag zur Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln. Denn das Menü in einer bestimmten Perspektive wiederzugeben (Merkmal 4.1) und dabei die graphische Gestaltung eines Menüpunktes zu ändern (Merkmal 4.2), beträfe allein die graphische Darstellung der zur Verfügung gestellten Information. Damit wäre aber alleine eine erhöhte Benutzerfeundlichkeit ohne weitere technische Überlegungen erreicht.

IV. Fazit

Der BGH bestätigt damit seine bisherigen Entscheidungen zur Patentierbarkeit graphischer Benutzeroberflächen. Merkmale einer GUI ohne technischen Beitrag sind bei der Analyse zur erfinderischen Tätigkeit außer Acht zu lassen (GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topographischer Information). Wenn graphische Elemente allein dem Zweck dienen Informationen leichter verständlich und besser zugänglich darzustellen, ohne physische Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung von Informationen zu berücksichtigen, bleiben diese ohne technischen Zweck und damit für die erfinderische Tätigkeit bedeutungslos (GRUR 2015, 660 – Bildstrom; GRUR 2015, Entsperrbild).

Des Weiteren liefert der BGH mit der als offenbart erachteten Menüpunkterweiterung ein Beispiel dazu, was der Fachmann mitlesen kann. Diese Rechtsfigur wurde vor allem durch die Entscheidungen “Olanzapin” (GRUR 2009, 382) und “Proteintrennung” (GRUR 2014, 758) zur Einbeziehung von Selbstverständlichem in eine Offenbarung bekannt. Ein solches Mitlesen umfasst – zumindest wie der Autor die aktuelle Rechtsprechung versteht – nicht allein den ein oder anderen nicht explizit erwähnten Fachbegriff oder einen nicht erwähnten, aber standardmäßigen Verfahrensschritt. Vielmehr können auch ganze Implementierungsformen mitgelesen werden, sofern diese sich einem vorgebildeten Leser beim Studieren einer Offenbarung aufdrängen.

V. Leitsatz

Die Anweisung, für ein Auswahlmenü auf einem Bildschirm eine Darstellungsart zu wählen, die lediglich dem Zweck dient, die angezeigten Menüpunkte und den Umstand, dass möglicherweise noch weitere Punkte verfügbar sind, besonders anschaulich zu präsentieren, betrifft kein technisches Lösungsmittel und ist deshalb bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. (Bestätigung von BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – X ZR 37/13, GRUR 2015, 660 – Bildstrom; Urteil vom 25. August 2015 – X ZR 110/13, GRUR 2015, 1184 Entsperrbild).

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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– von Dr. Markus Petermann –

In Erteilungsverfahren beim DPMA wird der Begriff „im Wesentlichen“ oft als unklare Angabe im zu prüfenden Patentanspruch angesehen. Das reduziert nach Ansicht des Verfassers die Rolle des Fachmanns zu stark. In der BGH-Rechtsprechung finden sich Hinweise, die diese These stützen. Und wie unerwartet: das EPA verfolgt dazu einen sehr pragmatischen Ansatz.


I. Position der Prüfungsstelle

Zur Erwiderung auf den ersten Prüfungsbescheid in einem DPMA-Patenterteilungsverfahren war geltend gemacht, dass sich die Antriebswelle aus der relevanten Entgegenhaltung von den kennzeichnenden Merkmalen des Patentanspruchs 1 insbesondere dadurch unterschiede, dass der Schwerpunkt an beiden axialen Enden gerade nicht im Wesentlichen in der Längsachse der Antriebswelle liege.

Die Prüfungsstelle sah im zweiten Prüfungsbescheid in dem Begriff „im Wesentlichen“ eine unbestimmte Angabe, die dann nicht zugelassen sei, wenn der Schutzbereich unklar bleibt. So stelle sich der Fachmann die Frage, welcher Schutzbereich mit „zumindest im Wesentlichen an der Mittellängsachse angeordnet“ beansprucht werden solle. Auch bei Durchsicht der gesamten Beschreibung erschließe sich dies dem Fachmann nicht.

Aufgrund der unterstellten Unklarheit nehme eine Entgegenhaltung, bei deren Antriebswelle der Schwerpunkt explizit und aus zwingenden funktionalen Gründen nicht in der Längsachse der Antriebswelle liegt – mit anderen Worten das Gegenteil des beanspruchten Gegenstands – , die beanspruchte Erfindung vorweg. Aus der unterstellten Unbestimmtheit wird also darauf geschlossen, dass dadurch auch das Gegenteil gemeint sein kann.

Dieses Verständnis läuft nach Ansicht des Verfassers dem Konzept des fachverständigen Lesers der Patentanmeldung zuwider und kann daher nicht sachgerecht sein. Zumal die Wendung „zumindest im Wesentlichen“ in Ansprüchen gängige Praxis ist und eine Vielzahl von – auch deutschen – Patenten mit dieser Wendung erteilt wurden und werden.


II. Ansätze ausgehend von der BGH-Rechtsprechung

Nach dem Verständnis des Bundesgerichtshofs (BGH Kochgefäß – Urteil des X. Zivilsenats vom 13.1.2015 – X ZR 81/13) – allerdings aus einer Verletzungssache – ist die Wendung „im Wesentlichen“ dahingehend zu verstehen, dass von „einem praktisch noch erheblichen Maße“ die Rede ist (Rn. 25).


BGH Kochgefäß – Urteil des X. Zivilsenats vom 13.1.2015 - X ZR 81/13

BGH Kochgefäß – Urteil des X. Zivilsenats vom 13.1.2015 – X ZR 81/13 – Rn. 25


Zu ermitteln, was im Einzelfall ein praktisch noch erhebliches Maß ist, ist eine Aufgabe, die der Fachmann beim Lesen eines Patents in seiner Rolle als fachmännisch Verständiger automatisch erledigt. Mit einem solchen Verständnis macht aber die Wendung „im Wesentlichen“ einen Anspruch für den Fachmann – als Adressat der Offenlegungsschrift und ggf. der Patentschrift – auch nicht unbestimmt (vgl. zum fachmännischen Ansatz der Lektüre einer Patentschrift BGH Brieflocher – Urteil des X. Zivilsenats vom 7.11.2000 – X ZR 145/98 – S.8 unten bis S.9 oben).

Für den Verfasser sind keine Gründe erkennbar, warum das in BGH Kochgefäß Rn. 25 dargelegte Verständnis der Wendung „im Wesentlichen“ auf die Auslegung des Patentanspruchs im Erteilungsverfahren nicht angewendet werden sollte. Denn zu beurteilen, was „in einem praktisch noch erheblichen Maße“ ist, liegt genau im Kern der fachmännischen Einschätzung. Und diese hat der Fachmann bei der Lektüre des später erteilten Patentes ja zur Verfügung, sodass er nicht im Erteilungsverfahren vor einer derartigen Formulierung geschützt werden muss.

Festgemacht am eingangs präsentierten Beispiel wäre es folglich genau Gegenstand des fachmännischen Verständnisses, einzuschätzen, wie exakt aufgrund der Formulierung „im Wesentlichen“ der Schwerpunkt des steuerabtriebsfernen Wellenabschlusses an der Mittellängsachse angeordnet sein muss, damit praktisch von einem zentrierten Schwerpunkt auszugehen ist.

Dafür steht dem Fachmann zudem die Möglichkeit einer funktionsorientierten Auslegung zur Verfügung – so sieht es zumindest der Bundesgerichtshof (BGH Staubsaugerrohr – Beschluss des X. Zivilsenats vom 12.10.2004 – X ZR 176/02 – S.7 unten bis S.8 oben), wenn der Wortlaut „im Wesentlichen“ für sich kein fest umrissenes Verständnis erlaube


BGH Staubsaugerrohr – Beschluss des X. Zivilsenats vom 12.10.2004 - X ZR 176/02 – S.7 unten bis S.8 oben

BGH Staubsaugerrohr – Beschluss des X. Zivilsenats vom 12.10.2004 – X ZR 176/02 – S.7 unten bis S.8 oben


Das funktionale Verständnis des Fachmanns von dem Merkmal ist aber nicht unbestimmt, wie sich wiederum deutlich am verwendeten Beispiel zeigt:

entweder der Wellenabschluss ist spezifisch für einen von der Mittellängsachse abweichenden Schwerpunkt ausgebildet; dann ist der Schwerpunkt funktional betrachtet nicht „im Wesentlichen“ an der Mittellängsachse angeordnet;

oder die Abweichung ergibt sich ohne Absicht (also ohne funktionale Begründung) aufgrund von Fertigungs- oder Montagetoleranzen o.ä.; dann ist der Schwerpunkt funktional betrachtet eben schon „im Wesentlichen“ an der Mittellängsachse angeordnet, wenn auch dann nicht exakt.


III. Ansatz aus den Richtlinien des EPA

Das EPA beschäftigt sich in seinen Prüfungsrichtlinien explizit mit der Wendung „im Wesentlichen“, und wendet eine pragmatische Auslegungsregel an (vgl. EPA Richtlinien für die Prüfung F-IV, 7.4.1):

Wenn Begriffe wie “im Wesentlichen” im Zusammenhang mit der strukturellen Einheit einer Vorrichtung (z. B. “Schalenplatte mit einem im Wesentlichen kreisförmigen Umfang” oder “Schalenplatte mit ungefähr kreisförmigem Umfang”) verwendet werden, sei der Ausdruck mit “im Wesentlichen” als technisches Merkmal auszulegen, das innerhalb der technischen Toleranzgrenzen des Herstellungsverfahrens hervorgebracht werde.

Beispielweise sei das Schneiden von Metall viel genauer als das Schneiden von Kunststoff und das Schneiden mit einer CNC-Maschine genauer als das Schneiden von Hand. Daher sei der Ausdruck “Schalenplatte mit einem im Wesentlichen kreisförmigen Umfang” sei so auszulegen, dass er dasselbe technische Merkmal beansprucht wie “Schalenplatte mit kreisförmigem Umfang”; mit beiden Ausdrücken werde eine Platte beansprucht, deren Boden der Industriefachmann als rund betrachten würde.

Auch im Prüfungsverfahren vor dem EPA wird also auf ein fachmännisches Verständnis rekurriert, das keinen Raum für eine Unbestimmtheit der Wendung „im Wesentlichen“ lässt.


IV. Lessons learned

Während im EP-Erteilungsverfahren die Wendung „im Wesentlichen“ pragmatisch ausgelegt wird, scheiden sich im deutschen Verfahren die Geister daran. Obwohl vielfach verwendet, werden entsprechende Gegenstände teilweise erteilt, teilweise wegen Unbestimmtheit gerügt oder zurückgewiesen.

Beim Verfassen von Patentanmeldungen und der Änderung von Ansprüchen verbleibt die Frage, ob man „im Wesentlichen“ verwenden soll, um den Gerichten in der Verletzungsauslegung deutlich vor Augen zu führen, dass der Gegenstand nicht eng ausgelegt werden soll. Oder nicht, um ein mögliches Hindernis in der Erteilung auszuräumen. Die hier vorgestellte Argumentation kann vielleicht helfen, die gewünschte Auslegung für das erteilte Patent mit einem geringeren Aufwand im Erteilungsverfahren zu verbinden.

Die Anwälte bei PAUSTIAN & PARTNER werden jedenfalls weiterhin Ihre Köpfe auch zu solch vermeintlich kleinen Fragen bei Anmeldungsentwürfen und in der Prosecution rauchen lassen, um für ihre Mandanten möglichst durchsetzbare und wertvolle Schutzrechte zu erreichen.

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