5 rules for drafting claims

Das “fast ideale Patent” – eine Lehrmethode

Um die Formulierung von Patentansprüchen zu lehren, erzählte mir mein Ausbilder vor langer Zeit vom “fast idealen Patent”. Das “fast ideale Patent” basiert auf Ansprüchen mit detailreicher Sprache und vielen Strukturmerkmalen. Dies ermöglicht es, eine Erfindung allein auf Basis der (unabhängigen) Ansprüche eines Patentes zu verstehen, auch ohne die Figuren zu betrachten oder die Beschreibung zu lesen. Allein diese Art von Ansprüchen verschafft dem “fast idealen Patent” viele Vorteile:

– Der Erfinder/Inhaber des Patents kann seine Erfindung aus dem wichtigsten Teil des Patents (den unabhängigen Ansprüchen) leicht wiedererkennen.
– Der Prüfer beim Patentamt profitiert vom selben Effekt und wird höchstwahrscheinlich keinen Stand der Technik finden.
– Dies wiederum wird den Erfinder/Inhaber des Patents noch mehr freuen, da eine schnelle Erteilungsentscheidung und geringe Erteilungskosten zu erwarten sind.
– Auch jeder Konkurrent kann sich über das Patent freuen. Denn seine Produkte oder Dienstleistungen werden nicht alle der vielen detailreichen Anspruchsmerkmale umsetzen und daher das Patent nicht verletzen. Zudem bekommt er durch das Patent sogar eine kostenlose Anregung, wie ungeschützte Ausführungsformen zu entwickeln und vermarkten sind.

Die Vorteile für Konkurrenten machen deutlich, warum mein Ausbilder ein solches Patent nur als “fast ideal” bezeichnete.  Allein als ironische Übertreibung. – Das Problem mit detaillierten Patentansprüchen besteht nämlich darin, dass sie keinen Schutzumfang gewähren. Patente mit solchen Ansprüchen stellen im Grunde eine Fehlinvestition dar (es sei denn, ein rein zahlenorientiertes Patentportfolio ist gewünscht). Dieser Pfusch wird so lange Geld kosten, bis der Patentinhaber das Problem endlich erkennt, das Patent aus anderen Gründen aufgibt oder die Laufzeit des Patents endet (für ein deutsches Patent würde dies zu vergeudeten Jahresgebühren von etwa 13.000 Euro führen).

Fünf Regeln für das Formulieren von Patentansprüchen

Aber wie sieht ein guter Anspruchssatz aus? Und was ist ein optimaler Inhalt für einen unabhängigen Anspruch? Dies ist keine einfache Frage. Im Folgenden werden fünf wichtige Aspekte für die Abfassung von Patentansprüchen erläutert: Abstraktion, Benutzbarkeit, Prüfbarkeit, Durchsetzbarkeit und Anpassbarkeit. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte wird ein Patent den starken Schutz entfalten, den der Anmelder für die Erfindung verdient und der die Investition in das Patent rechtfertigt.

1. Abstraktion

Zuallererst muss ein Patentanspruch eine Abstraktion der Ausführungsformen der Erfindung formulieren. Nur durch eine Abstraktion kann ein Schutzumfang gewährt werden, der über die vom Erfinder gemeldeten Ausführungsformen hinausgeht. Das Erfordernis der Abstraktion ist vom Bundesgerichtshof (BGH) mehrfach festgestellt worden. In der Entscheidung “Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren” (BGH GRUR 2013, 1210) führte das Gericht aus:
“Dem Patentanmelder steht es grundsätzlich frei, den Schutz durch die Ansprüche nicht auf die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen ausdrücklich beschriebenen Ausführungsformen zu beschränken, sondern gewisse Verallgemeinerungen vorzunehmen, sofern dies dem berechtigten Anliegen Rechnung trägt, die Erfindung in ihrer Gesamtheit zu erfassen.”
Mit anderen Worten: Ein Anspruch sollte eine Abstraktion der Ausführungsformen sein, darf aber nicht eine Abstraktion der Erfindung sein. Der Erfinder hat das Recht, die Erfindung in ihrem gesamten Umfang zu schützen. Der BGH sah es sogar als legitim an, wenn diese Abstraktion Ausführungsformen umfasst, die nicht funktionieren. Dieses Erfordernis, das auch als “Ausführbarkeit” bezeichnet wird, gilt für ein Patent, nicht aber für einen Anspruch.

Die Maximierung des Schutzumfangs führt zu einer ersten Regel für die Formulierung eines guten Patentanspruchs: Ein unabhängiger Anspruch sollte nur Merkmale umfassen, die in allen Ausführungsformen der Erfindung vorhanden sind. So einfach dies auch klingt, in der Praxis ist dies schwierig. Die Identifikation der Erfindung unabhängig von den einzelnen Ausführungsformen ist eine der kompliziertesten Aufgaben einer Patenanwältin oder eines Patentanwalts bei der Ausarbeitung einer Patenanmeldung.

2. Verwendbarkeit

Es hat sich gezeigt, dass eine Destillation der Erfindung aus ihren Ausführungsformen den Prozess der Ausarbeitung einer Patentanmeldung auch für den Erfinder/Inhaber erschwert. Wie bereits eingangs erwähnt, sollte der Erfinder/Inhaber verstehen, was der Gegenstand eines Anspruchs seines Patentes ist. Denn dieser soll von ihr/ihm verwendet werden. Oft ist der Erfinder/Inhaber des Patents der Einzige, der den Markt nach patentverletzenden Produkten absucht. Wenn sie/er sich über den Schutzumfang des Patents nicht im Klaren ist, ist eine wirksame Identifikation von patentverletzenden Produkten oder Dienstleistungen nicht möglich.

Daher kann als zweite Regel festgehalten werden: Ein Erfinder/Inhaber sollte immer in der Lage sein zu verstehen, was die allgemeinste Form der Erfindung ist und wie sie im Anspruch beschrieben wird. Wie schwierig dies sein kann, kann man sich an der Tatsache vergegenwärtigen, dass während der gesamten Laufzeit eines Patents verschiedene Patentinhaber und/oder verschiedene Patentanwälte für das Patent zuständig sein können für die diese Regel immer erfüllt sein sollte.

3. Prüfbarkeit

Eine Patentanmeldung, die unter Berücksichtigung der beiden oben genannten Regeln verfasst wurde, könnte bereits zu einem anständigen Patent führen. Allerdings fehlt noch die Perspektive der Prüfungsabteilung im Patentamt. Der Prüfer ist die erste Instanz, die einen unabhängigen Anspruch gewährt oder ablehnt. Prüfer kümmern sich um die materiellen Aspekte des Patents, wie Neuheit, erfinderische Tätigkeit und ausführbare und hinreichende Offenbarung. Prüfer achten auch auf formale Aspekte wie Klarheit des beanspruchten Schutzumfangs. Sie müssen sicherstellen, dass die Gesellschaft weiß, was geschützt ist. Obwohl das Erfordernis der Klarheit rechtlich genau definiert ist, wird es oft mit der Breite des Patentanspruchs verwechselt.

Noch schwieriger wird es bei Ansprüchen, bei denen eine Recherche zum Stand der Technik für eine Prüferin oder einen Prüfer nur schwer durchführbar ist. Die Recherche zum Stand der Technik ist die Hauptaufgabe der Prüfungsabteilung. Wird diese durch die Anspruchssprache erschwert, ist eine Erteilung des Patents unwahrscheinlich. Es gilt zu bedenken: Prüfer sind Menschen mit rationalen und subjektiven, d.h. weniger rationalen, Bewertungen, von denen eine positive Entscheidung gewünscht wird.

Dies führt zu einer dritten Regel: Die Anspruchssprache soll einen klaren Eindruck von der Erfindung vermitteln und Prüfern eine Recherche zum Stand der Technik erleichtern. Ein Problem dieser Regel ist, dass sie im Widerspruch zur ersten Regel stehen kann. Denn ein klarer Eindruck wird durch Details vermittelt. Und Details – zumindest wenn sie nur zu bestimmten Ausführungsformen gehören – schränken den Schutzbereich ein und begründen die Gefahr ungeschützter Ausführungsformen der Erfindung.

4. Durchsetzbarkeit

Dies führt zu einer weiteren Anforderung an einen guten Patentanspruch: Er muss durchsetzbar sein. Die Durchsetzbarkeit sinkt mit geringerem Schutzumfang und insbesondere mit Anspruchsdetails, deren Realisierung in einer Verletzungsform – vor Gericht oder erst recht in informellen Lizenzierungsgesprächen mit einem Verletzer – nur schwer zu begnügen sind. Ein Verletzer wird alles tun, um zu argumentieren, dass nicht alle Anspruchsmerkmale in seiner Ausführungsform implementiert sind. Anspruchsmerkmale, die nicht abstrakt sind und die sich auf bestimmte Strukturen einer Ausführungsform beziehen, sind in dieser Hinsicht die gefährlichsten Details. Zu bedenken ist, dass alle Merkmale eines Anspruchs für ein schutzrechtsverletzendes Produkt oder eine schutzrechtsverletzende Dienstleistung realisiert sein müssen.

Selbst in einem an sich breit gefassten Anspruch kann ein einziges Detail dazu führen, dass der Anspruch nicht durchsetzbar ist. Dies ist noch schwieriger, wenn ein standardessenzielles Patent (SEP) angestrebt wird. Immer mehr Normen scheinen absichtlich breit formuliert zu sein, um eine Patentierung der Norm zu erschweren. Daher muss die Anspruchssprache breiter sein, um das jeweilige Merkmal eines einzureichenden Standardbeitrags abzudecken.

Dies führt zur vierten Regel: Ein Anspruch soll frei von Flaschenhälsen oder schwer nachzuweisenden Merkmalen sein. Die Durchsetzungsperspektive wird bei der Abfassung von Patentansprüchen oft vergessen. Weil sie erst in ferner Zukunft relevant wird. Und weil der abfassende Patentanwalt mit Lizenzierung und Rechtsstreitigkeiten möglicherweise nicht vertraut ist. Informationen aus diesen Erfahrungen können dann nicht in den Ausarbeitungsprozess einfließen. Es sollte jedoch deutlich gemacht werden, dass die Hauptmotivation für die Investition in ein Patent der Schutz der Erfindung ist – und Schutz ist die Wirkung von Durchsetzbarkeit.

5. Anpassungsfähigkeit

Der BGH hat die Schwierigkeiten bei der Erstellung von Ansprüchen anerkannt. In der Entscheidung “Kommunikationskanal” (BGH GRUR 2014, 542) stellte das Gericht fest:
“Soweit Ansprüche bereits in einer Anmeldung formuliert werden, haben diese […] nur einen vorläufigen Charakter. Erst im weiteren Prüfungsverfahren muss herausgearbeitet werden, was im Lichte des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt.”
Daraus folgt, dass die Ansprüche einer Patentanmeldung den Schutzbereich bei der ersten Einreichung der Anmeldung nicht bereits perfekt definieren müssen. Die Einreichung perfekter Ansprüche bei der ersten Anmeldung ist sogar unmöglich, da der Prüfer erst in Verlauf des Prüfungsverfahrens die dafür erforderliche Informationen (z. B. zum Stand der Technik) bereitstellt.

Die ursprünglichen Ansprüche einer Patentanmeldung sollten einen anpassungsfähigen Ausgangspunkt bilden, um am Ende des Erteilungsverfahrens oder eines Einspruchsverfahrens zu einem breiten, verständlichen und durchsetzbaren Anspruchssatz für das spätere Patent zu gelangen. Dies sollte die fünfte Regel für die Abfassung von Ansprüchen für eine Patentanmeldung sein.

Zusammenfassung

Zusammengefasst lauten die fünf Regeln:

1. Ein unabhängiger Anspruch soll nur Merkmale enthalten, die in allen Ausführungsformen der Erfindung vorhanden sind.
2. Ein Erfinder/Inhaber soll immer in der Lage sein zu verstehen, was die breiteste Ausführungsform der Erfindung ist und wie sie durch den Anspruch geschützt wird.
3. Die Formulierung des Anspruchs soll einen klaren Eindruck von der Erfindung vermitteln und dem Prüfer eine Recherche zum Stand der Technik erleichtern.
4. Ein Anspruch soll keine Flaschenhälse oder schwer nachzuweisende Merkmale enthalten.
5. Die Ansprüche einer Patentanmeldung sollen einen anpassungsfähigen Ausgangspunkt bilden, um zu einem breiten, verständlichen und durchsetzbaren Anspruchssatz für ein späteres Patent zu gelangen.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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