Das einheitliche Patentgericht (EPG; engl.: Unified Patent Court – UPC) bietet zwei Möglichkeiten den Rechtsbestand eines Patents anzugreifen: einerseits die Klage auf Nichtigerklärung des Patents (Nichtigkeitsklage, Art. 32 Abs. 1 lit. d EPGÜ, Regel 42 f. EPGVerfO) und andererseits die Widerklage auf Nichtigerklärung des Patents (Nichtigkeitswiderklage, Art. 32 Abs. 1 lit. e EPGÜ, Regel 25 EPGVerfO), welche im Rahmen eines anhängigen Verletzungsverfahrens als Reaktion auf die Verletzungsklage (Klageerwiderung) eingesetzt werden kann. Daher stellt sich die Frage, welche von beiden Optionen vorzuziehen ist bzw. ob gegebenenfalls beide Klagen parallel eingesetzt werden können.
Widerklage auf Nichtigerklärung
Im Rahmen einer Nichtigkeitswiderklage wird die Frage der Verletzung sowie des Rechtsbestandes des Patents von demselben Gericht behandelt (Einheitsprinzip). Das eröffnet die Möglichkeit, zusammenhängende Klagen zusammen zu verhandeln sowie zu entscheiden und somit widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Ferner dient die Nichtigkeitswiderklage der Verfahrensökonomie, zumal zum Beispiel Beweise einmal erhoben werden müssen. Darüber hinaus wird bei einer Nichtigkeitswiderklage durch den gleichzeitigen Ablauf vom Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren vermieden, dass der Beklagte in erster Instanz aus einem nicht rechtsbeständigen Patent verurteilt wird.
Betreffend die Gerichtskosten weisen die Nichtigkeitsklage und Nichtigkeitswiderklage keine erheblichen Unterschiede auf. Diese betragen für die erstere eine Festgebühr vom 20.000 Euro und für die letztere eine Festgebühr von 11.000 Euro (genauso wie für die Verletzungsklage) in Kombination mit einer streitwertabhängigen Gebühr, die allerdings 20.000 Euro nicht übersteigen kann (Art. 36 Abs. 3 EPGÜ).[1]
Folglich ergibt sich, dass es für den Beklagten vieles über den Vorzug einer Nichtigkeitswiderklage spricht. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch Unterschiede, je nachdem, ob zwischen Verletzungs- und Nichtigkeitsklage Parteiidentität oder nicht gibt, da diese die Gerichtszuständigkeit bestimmt.
Zuständigkeit der Kammer des Gerichts bei vorliegender Parteiidentität
Die Nichtigkeitswiderklage wird in der Klageerwiderung im Rahmen einer Verletzungsklage enthalten und daher bei der gleichen Lokal- oder Regionalkammer, wie das anhängige Verletzungsverfahren, erhoben (Art. 33 Abs. 3 EPGÜ, Regel 23, 25 EPGVerfO). In diesem Fall kann sich die betreffende Lokal- oder Regionalkammer nach Anhörung der Parteien nach eigenem Ermessen für eine folgender Optionen entscheiden: i) sowohl die Verletzungsklage als auch die Widerklage auf Nichtigerklärung zu verhandeln, ii) die Widerklage auf Nichtigerklärung an die Zentralkammer zu verweisen und das Verletzungsverfahren auszusetzen oder fortzuführen, iii) den Fall mit Zustimmung der Parteien an die Zentralkammer zu verweisen (Art. 33 Abs. 3 lit. a, b, c EPGÜ). Eine Nichtigkeitsklage ist dahingegen prinzipiell bei der Zentralkammer zu erheben (Art. 33 Abs. 4 S.1 EPGÜ).
Bei vorliegender Parteiidentität, wenn nämlich die Verletzungs- und Nichtigkeitsklage zwischen denselben Parteien zum selben Patent erhoben werden, wird die Gerichtszuständigkeit von der Reihenfolge der jeweiligen Erhebung bestimmt.
Ist eine Nichtigkeitsklage schon bei der Zentralkammer anhängig, dann kann die nachfolgende Verletzungsklage sowohl bei jeder Lokal- oder Regionalkammer als auch bei der Zentralkammer erhoben werden (Art. 33 Abs. 5 EPGÜ). Wenn im Verletzungsverfahren eine Nichtigkeitswiderklage erhoben wird, dann setzt die Zentralkammer das gesamte weitere Verfahren über die Nichtigkeitsklage bis zu einer Entscheidung der Lokal- oder Regionalkammer, die die Verhandlung über die Verletzungsklage führt, aus, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben (Regel 75 Abs. 3 EPGVerfO). Die für die Verletzungsklage zuständige Lokal- oder Regionalkammer kann nach ihrem Ermessen gemäß Art. 33 Abs. 3 EPG verfahren und hat dabei zu berücksichtigen, wie weit das Nichtigkeitsverfahren vor der Zentralkammer vor der Aussetzung bereits fortgeschritten war (Art. 33 Abs. 5 EPGÜ, Regel 75 Abs. 4 EPGVerfO).
Wenn jedoch bereits eine Verletzungsklage bei einer Lokal- oder Regionalkammer anhängig ist, darf eine nachfolgende Nichtigkeitsklage nur vor derselben Lokal- oder Regionalkammer erhoben werden (Art. 33 Abs. 4 S. 2 EPGÜ). In diesem Fall ergibt sich für die Nichtigkeitsklage und Nichtigkeitswiderklage bei anhängigem Verletzungsverfahren die gleiche Gerichtszuständigkeit. Es handelt sich also um zwei parallel vor der gleichen Kammer anhängige Verfahren, welche jedoch getrennt, voneinander unabhängig sind.
Wenn die Nichtigkeitsklage vor der zuständigen Lokal- oder Regionalkammer innerhalb der drei Monatsfrist für die Klageerwiderung im Verletzungsverfahren (Regel 23 EPGVerfO) erhoben wird, dann kann diese faktisch wie eine Nichtigkeitswiderklage behandelt werden, zumal auch eine Verbindung beider Klagen wegen Zusammenhangs nach Regel 340 EPGVerfO möglich ist. Wenn andererseits die Frist zur Einreichung der Klageerwiderung bereits abgelaufen ist und das Verletzungsverfahren schon weit fortgeschritten ist, dann empfiehlt es sich direkt eine Nichtigkeitsklage zu erheben, da das Risiko, dass die Nichtigkeitswiderklage vom Gericht aufgrund der verspäteten Einreichung nicht zugelassen wird (Regel 263 Abs. 1 EPGVerfO), hoch ist.
Art. 33 Abs. 4 S. 2 EPGÜ sieht – anders als bei der Nichtigkeitswiderklage – nicht die Möglichkeit vor, das Verfahren nach Art. 33 Abs. 3 lit. b oder c EPGÜ an die Zentralkammer zu verweisen. Insoweit könnte der Verletzungsbeklagte sich für eine Nichtigkeitsklage bei der Lokal- oder Regionalkammer entscheiden und somit eine Verweisung an die Zentralkammer nach Art. 33 Abs. 3 lit. b oder c EPGÜ vermeiden. Dies könnte den Verfahrensverlauf positiv für ihn beeinflussen, da eine gemeinsame Verhandlung von Nichtigkeit und Verletzung regelmäßig im Interesse des Beklagten steht.[2]
Ferner ist die Lokal- oder Regionalkammer bei der Erhebung einer separaten Nichtigkeitsklage nach Art. 33 Abs. 4 S. 2 EPGÜ nicht gezwungen einen technischen Richter hinzuziehen. Im Gegensatz zu Art. 33 Abs. 3 lit. a EPGÜ für die Verhandlung einer Nichtigkeitswiderklage erfolgt hier die Zuweisung eines technischen Richters gemäß Art. 8 Abs. 5 EPGÜ auf Antrag einer Partei oder auf eigene Initiative des Gerichts. Dennoch wird in der Praxis auch beim Nichtigkeitsverfahren vor einer Lokal- oder Regionalkammer in Anbetracht der technischen Sachverhalte, die üblicherweise in solchen Verfahren behandelt werden, nicht auf die Hinzuziehung eines technischen Richters verzichtet werden können.[3]
Zuständigkeit der Kammer des Gerichts bei fehlender Parteiidentität
Wenn die Parteien im Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren nicht identisch sind, wie zum Beispiel, wenn die Verletzungsklage nicht vom Patentinhaber – sondern vom Lizenznehmer – oder wenn die Nichtigkeitsklage von einem Tochterunternehmen[4] erhoben wird, dann kommt Art. 33 Abs. 4 S. 2 EPGÜ nicht zur Anwendung. Das eröffnet die Möglichkeit eine separate Nichtigkeitsklage vor der Zentralkammer zu erheben, obwohl schon vor der Lokal- oder Regionalkammer eine Verletzungsklage bzw. eine Nichtigkeitswiderklage anhängig ist.
Diese Option mag vorerst interessant erscheinen, zumal sie die Möglichkeit anbietet, den Rechtsbestand des Patents vor zwei unterschiedlichen Kammern anzugreifen und somit von den – gegebenenfalls – unterschiedlichen Meinungen / Sichtweisen der verschiedenen Richter zu profitieren sowie neuen Stand der Technik zu einem späteren Zeitpunkt vorzubringen.
Wenn jedoch der Beklagte bewusst den Weg der Nichtigkeitsklage wählt, um das Nichtigkeitsverfahren vor der Zentralkammer zu bringen, muss mit gewissen Risiken rechnen. Zuerst muss beachtet werden, dass auch in diesem Fall das Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren im Einverständnis beider Kammern und nach Anhörung der Parteien gemäß Regel 340 EPGVerfO verbunden werden können. Laut 340 EPGVerfO können im Interesse einer geordneten Rechtspflege und der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen bei Anhängigkeit mehr als einer dasselbe Patent betreffender Klagen (ob zwischen denselben Parteien oder nicht) bei (a) verschiedenen Spruchkörpern (derselben Kammer oder unterschiedlicher Kammern) oder (b) verschiedenen Spruchkörpern des Berufungsgerichts, die Spruchkörper einvernehmlich jederzeit nach Anhörung der Parteien anordnen, dass zwei oder mehr Klagen aufgrund ihres Zusammenhangs gemeinsam verhandelt werden. In diesem Fall ist Art. 33 Abs. 3 EPGÜ zu beachten, da eventuell die Nichtigkeitswiderklage gemäß Art. 33 Abs. 3 lit. b EPGÜ bereits an die Zentralkammer verwiesen worden ist. Darüber hinaus – wenn beide Klagen nicht verbunden werden – kommt normalerweise die Entscheidung für die separate Nichtigkeitsklage zu spät, um das Verletzungsverfahren beeinflussen zu können. Ferner besteht die Möglichkeit, dass bei beiden Kammern der gleiche technische Richter teilnimmt und somit keine unterschiedliche Meinung zwischen den Verfahren zu erwarten wäre.
Zusammenfassend ist die Entscheidung über den Vorzug einer isolierten Nichtigkeitsklage oder einer Nichtigkeitswiderklage nicht eindeutig und sollte jedenfalls individuell zwischen den gegebenen Vorteilen und den möglichen Risiken abgewogen werden. Darüber hinaus sollte nicht außer Acht bleiben, dass sich die Lokalkammern in Anbetracht des Einheitsprinzips eher bemühen werden, effizient und ohne die Verzögerung einer Verweisung zu entscheiden. Daher ist zu erwarten, dass eine Verweisung an die Zentralkammer lediglich in speziellen Fällen vorgezogen wird, zumal es nicht zu vermuten ist, dass sich die Lokalkammern selbst als unfähig einschätzen werden, über Nichtigkeitsfragen zu entscheiden.
Autorin: Dr. Olga Michala
E-mail: michala@paustian.de
[1] Siehe dazu die Gerichtsgebührentabelle, die vom Verwaltungsausschuss des EPG festgesetzt wurde
[2] Vgl. Burrichter, Arwed: Das Nichtigkeitsverfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht. In: Harmsen / Verhauwen (Hrsg.): Festschrift für Thomas Kühnen, 1. Auflage 2024, S.155ff
[3] Vgl. Burrichter, Arwed: Das Nichtigkeitsverfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht. In: Harmsen / Verhauwen (Hrsg.): Festschrift für Thomas Kühnen, 1. Auflage 2024, S.155ff
[4] Siehe dazu die Entscheidung der Zentralkammer Paris vom 13. November 2023 UPC_CFI_255/2023