Einstweilige Maßnahmen können vom einheitlichen Patentgericht (EPG; engl.: Unified Patent Court – UPC) zur Verhinderung einer drohenden Verletzung des Patents oder zur Untersagung der Fortsetzung einer angeblichen Verletzung angeordnet werden. Gegebenenfalls kann das Gericht die Fortsetzung der Verletzung unter Androhung von Zwangsgeldern untersagen oder an die Stellung von Sicherheiten knüpfen, um eine Entschädigung des Rechtsinhabers zu gewährleisten (Art. 62, Abs. 1 Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht – EPGÜ).

Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erfolgt im Wege eines summarischen Verfahrens, welches ein schriftliches und ein mündliches Verfahren, mit Anhörung beider oder einer der Parteien (ex parte), umfasst (Regel 205 Verfahrensordnung des EPG – EPGVerfO).

Arten von einstweiligen Maßnahmen

Vom Gericht können insbesondere folgende einstweilige Maßnahmen angeordnet werden:

a) Verfügungen gegen einen Antragsgegner,

b) Beschlagnahme oder Herausgabe von Erzeugnissen, bei denen der Verdacht auf Verletzung eines Patentrechts besteht, um deren Inverkehrbringen und Umlauf auf den Vertriebswegen zu verhindern,

c) wenn ein Antragsteller glaubhaft macht, dass die Erfüllung seiner Schadenersatzansprüche fraglich ist, die vorsorgliche Beschlagnahme beweglichen und unbeweglichen Vermögens des Antragsgegners einschließlich der Sperrung der Bankkonten und der Beschlagnahme sonstiger Vermögenswerte des Antragsgegners

d) eine vorläufige Kostenerstattung (Regel 211, Abs. 1 a – c EPGVerfO, Art. 62, Abs. 1, 3 EPGÜ).

Antrag auf einstweilige Maßnahmen

Der Antrag auf einstweilige Maßnahmen kann von einer Partei bei Gericht sowohl vor als auch nach Einleitung des Hauptverfahrens gestellt werden (Regel 206, Abs.1 EPGVerfO). Dieser muss neben den formalen Angaben wie z.B. Namen und Zustellungsadressen der Parteien, Nummer des Patents usw. (Regel 13, Abs. 1 EPGVerfO), auch Folgendes umfassen: i) die Angabe, welche einstweilige Maßnahme beantragt wird, ii) die Gründe, warum die Anordnung von einstweiligen Maßnahmen erforderlich ist, um eine Verletzung zu verhindern, ihre Forstsetzung zu untersagen oder diese Fortsetzung an die Stellung von Sicherheiten zu knüpfen, iii) die Tatsachen und Beweismittel, auf Basis derer die Anordnung beantragt wird und ihre Erforderlichkeit stützt und iv) eine kurze Beschreibung der Klage, die bei dem Gericht anhängig gemacht werden wird, einschließlich der Tatsachen und Beweismittel, auf die das Hauptverfahren in der Sache gestützt werden wird (Regel 206, Abs. 2 a-e EPGVerfO).

Der Antragsteller muss glaubhaft machen, dass das betreffende Patent gültig ist, er zur Einleitung eines Verfahrens gemäß Art. 47 EPGÜ berechtigt ist, er nämlich der Rechtsinhaber ist und sein Recht verletzt wird oder verletzt zu werden droht (Regel 211, Abs. 2 EPGVerfO). Er muss also beweisen, dass sein Recht aus seinem gültigen Patent verletzt wird und dessen Schutz durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlich ist. Um sich mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass die oben erwähnten Voraussetzungen vorliegen, kann das Gericht dem Antragsteller dazu verpflichten, alle verfügbaren Beweismittel vorzulegen (Art.62, Abs. 4 EPGÜ, Regel 211, Abs. 2 EPGVerfO). Eine solche ausreichend sichere Überzeugung erfordere, so das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts, dass es das Gericht zumindest für überwiegend wahrscheinlich halte, dass der Antragsteller zur Einleitung eines Verfahrens berechtigt sei und das Patent verletzt werde. An einer ausreichend sicheren Überzeugung fehle es, wenn es das Gericht für überwiegend wahrscheinlich ansehe, dass das Patent nicht gültig sei.[1]

Die Darlegungs- und Beweislast für diese Tatsachen, aus denen sich die Berechtigung zur Verfahrenseinleitung und die Verletzung oder drohende Verletzung des Patents ergeben sollen, sowie für alle anderen Umstände, die den Antrag des Antragstellers stützen sollen, liegt beim Antragsteller, genauso wie im Hauptverfahren (Art. 54 EPGÜ). Andererseits liegt die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen betreffend die fehlende Gültigkeit des Patents und andere Umstände, die den Standpunkt des Antragsgegners stützen, sofern Gegenstand der Entscheidung nicht die Anordnung von Maßnahmen ohne Anhörung des Antragsgegners ist, beim Antragsgegner.

Darüber hinaus kann eine Anordnung einstweiliger Maßnahmen ohne Anhörung der anderen Partei beantragt werden. In diesem Fall muss der Antrag zusätzlich die Gründe dafür sowie etwaige Informationen über einen früheren diesbezüglichen interparteilichen Schriftverkehr enthalten (Regel 206, Abs. 3 a-b EPGVerfO). Wenn der Antragsteller die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ohne Anhörung des Antragsgegners beantragt, verpflichtet er sich, alle ihm bekannten erheblichen Tatsachen, welche die Entscheidung des Gerichts für die Nichtanhörung beeinflussen könnten, offenzulegen (Regel 206, Abs. 4 EPGVerfO). Gegen eine ex parte Anordnung kann sich der Antragsgegner durch die Hinterlegung einer Schutzschrift wehren (Regel 207 EPGVerfO). Bei Vorliegen einer solchen, hat das Gericht insbesondere in Betracht zu ziehen, die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung zu laden (Regel 209, Abs. 2 d VerfO).[2]

Entscheidung des Gerichts

Der Termin für die mündliche Verhandlung, bei inter-parte Verfahren, ist vom Gericht so bald wie möglich nach dem Eingang des Antrags auf einstweilige Maßnahmen bestimmt zu werden (Regel 210, Abs. 1 EPGVerfO). Sollte der Antragsteller an der mündlichen Verhandlung ohne vernünftigen Grund nicht teilnehmen, dann wird sein Antrag auf einstweilige Maßnahmen abgelehnt (Regel 210, Abs. 3 EPGVerfO).

Vor oder während der mündlichen Verhandlung kann das Gericht die Parteien dazu auffordern, etwaige Informationen, Unterlagen und Beweismittel, die seine Entscheidungsfindung ermöglichen, vorzulegen (Regel 210, Abs. 2 EPGVerfO). Bei der Entscheidungsfindung liegt im Ermessen des Gerichts, die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwiegen und dabei insbesondere den möglichen Schaden, der einer der Parteien aus dem Erlass oder der Abweisung des Antrags erwachsen könnte, zu berücksichtigen (Art. 62, Abs. 2 EPGÜ, Regel 211, Abs. 3 EPGVerfO). Zusätzlich wird vom Gericht ein unangemessenes Zuwarten bei der Beantragung von einstweiligen Maßnahmen in Betracht gezogen (Regel 211, Abs. 4 EPGVerfO).

Die Entscheidung über die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ergeht so bald wie möglich nach Abschluss der mündlichen Verhandlung in schriftlicher Form. Sie muss den Hinweis enthalten, dass eine Berufung gemäß Artikel 73 EPGÜ und Regel 220, Abs. 1 EPGVerfO eingelegt werden kann (Regel 210, Abs. 4 und 211, Abs. 6 EPGVerfO). Nach Ermessen des Gerichts kann die Verkündung der Entscheidung vor ihrer Verschriftlichung am Ende der mündlichen Verhandlung erfolgen (Regel 210, Abs. 4 EPGVerfO).

Darüber hinaus kann das Gericht einstweilige Maßnahmen ohne Anhörung des Antragsgegners anordnen (ex parte Anordnung). Dies kann insbesondere dann geschehen, wenn durch eine Verzögerung dem Antragsteller wahrscheinlich ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde oder nachweislich die Gefahr besteht, dass Beweismittel vernichtet werden (Regel 212, Abs. 1 EPGVerfO und Art. 60 Abs. 5 EPGÜ). In diesem Fall wird der Antragsgegner unverzüglich, spätestens jedoch unmittelbar nach Vollziehung der Maßnahmen, von den einstweiligen Maßnahmen in Kenntnis gesetzt und kann darauffolgend eine diesbezügliche Prüfung beantragen (Regel 212, Abs. 2, 3 und Art. 60, Abs. 6 EPGÜ). Diese Prüfung kann innerhalb von 30 Tagen nach Vollziehung der Maßnahmen beantragt werden und führt zu einer mündlichen Verhandlung, in der das Gericht die Anordnung abändern, aufheben oder bestätigen kann (Regel 197, Abs. 3, 4 EPGVerfO).

Zusätzlich kann das Gericht, wenn die Anordnung ohne Anhörung des Antragsgegners stattgefunden hat, die Vollstreckung der einstweiligen Maßnahmen von einer Sicherheitsleistung durch den Antragsteller abhängig machen, um Nachteile des Antragsgegners durch die Vollstreckung zu sichern (Regel 211, Abs. 5 EPGVerfO und Art. 60, Abs. 7, 9 EPGÜ).

Aufhebung der einstweiligen Maßnahmen

Der Antragsteller muss innerhalb einer Frist von 31 Kalendertagen oder 20 Werktagen – je nachdem, welcher Zeitraum länger ist – bei dem Gericht das Verfahren in der Sache einleiten, ansonsten stellt das Gericht sicher, dass die einstweiligen Maßnahmen auf Antrag des Antragsgegners aufgehoben oder auf andere Weise außer Kraft gesetzt werden (Regel 213, Abs.1 EPGVerfO und Art. 60, Abs. 8 EPGÜ). Dies erfolgt unbeschadet etwaiger Schadenersatzforderungen, die der Antragsgegner möglicherweise geltend machen könnte. Die Frist fängt ab dem Datum an, welches in der Anordnung des Gerichts festgelegt wurde.

Des Weiteren kann der Antragsgegner im Falle einer Aufhebung oder Hinfälligkeit der einstweiligen Maßnahmen oder einer nachträglichen Feststellung der Nichtverletzung des Patents, eine Entschädigung für alle aufgrund der angeordneten Maßnahmen entstandenen Schäden beantragen (Regel 213, Abs. 2 EPGVerfO und Art. 60, Abs. 9 EPGÜ).

Einstweilige Maßnahmen in der Praxis

Seit dem Anfang der Tätigkeit des Gerichts am 1. Juni 2023 bis Ende Oktober 2024 sind beim Gericht erster Instanz insgesamt 41 Anträge auf einstweilige Maßnahmen eingegangen.[3] Die meisten Anträge wurden bei der Lokalkammer München eingereicht, welche mit einer Summe von 17 Anträgen die Lokalkammer mit der größten Arbeitsbelastung darstellt. Dies könnte zu Verspätungen bei den Entscheidungen über einstweilige Maßnahmen führen, wie neulich beim Fall Tiroler Rohre und SSAB Swedish Steel passierte, in der das Gericht fünf Monate gebraucht hat.

Die gerichtliche Vertretung der Parteien kann beim UPC sowohl durch Anwälte als auch durch Patentanwälte erfolgen (Art. 48. Abs. 1, 2 EPGÜ). Europäische Patentanwälte, welche gemäß Art. 134 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) vor dem Europäischen Patentamt als zugelassene Vertreter auftreten dürfen und über die erforderliche Qualifikation (Zertifikat zur Führung Europäischer Patentstreitverfahren oder eine ähnliche Zusatzausbildung) verfügen, können beim UPC die Vertretung der Parteien vollumfänglich übernehmen. Diese Möglichkeit scheint bisher zunehmend von den Parteien wahrgenommen zu werden.

Autorin: Dr. Olga Michala

E-Mail: michala@paustian.de

[1] Siehe dazu die Anordnung des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 26.02.24, UPC_CoA_335/2023 -NanoString. / .10xGenomics II

[2] Näheres zur Schutzschrift sind in unserem Artikel ¨Die Schutzschrift beim Einheitlichen Patentgericht¨ zu finden.

[3] Siehe dazu den monatlichen Bericht des Gerichts über seine Arbeitsbelastung unter: https://www.unified-patent-court.org/sites/default/files/upc_documents/Case%20load%20of%20the%20Court_end%20October.pdf

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