Die Notwendigkeit für einen gemeinschaftlichen europäischen Patentschutz
Im Gegensatz zu vielen Rechtsbereichen mit grenzüberschreitenden Bezug ist das Patentrecht in der Europäischen Union überwiegend im Territorialitätsprinzip verhaftet geblieben. Für die Erteilung und Durchsetzung von Patenten ist jeder EU-Mitgliedstaat selbst verantwortlich. Zwar gibt es das völkervertragliche Europäische Patentabkommen (EPÜ), durch welches der Erteilungsprozess einer Bündelanmeldung beim Europäischen Patentamt (EPA) zentralisiert wird. Das Ergebnis sind allerdings auch hier allein nationale Patente.
Ein völkerrechtlicher Vertrag für ein multinationales Patent analog zum EPÜ existiert nicht. In den EU-Verträgen gibt es zwar im Art. 118 EUV eine primärrechtliche Grundlage für einen gemeinschaftlichen Schutz von geistigem Eigentum. Allerdings wurde diese bisher nicht für operative grenzüberschreitende Regelungen für Patente genutzt. Auch das existierende Sekundärrecht, insbesondere die Brüssel-Ia-Verordnung, bietet dafür keinen Ansatzpunkt.
Dies war am Anfang des Jahrhunderts anders. Auf Basis des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (einem Vorgänger der Brüssel-Ia VO) war es möglich, als Inhaber eines Patents einen Verletzer an dessen allgemeinen Gerichtsstand (also dessen Wohnsitz oder Sitz) zu verklagen (Spider-in-web-Doktrin). Zudem war es möglich, eine Patentverletzungsklage am Ort des schädigenden Ereignisses anzustrengen oder auf Basis des Gerichtsstandes der Streitgenossenschaft auch an dem allgemeinen Gerichtsstand eines anderen Beklagten zu klagen. Dies ist prinzipiell auch auf Basis der Brüssel-Ia-VO auch heute noch möglich.
Allerdings ist die praktische Realisierung solcher grenzüberschreitender Verfahren durch zwei Entscheidungen des EuGH zum Erliegen gekommen.
Zum einen entschied der EuGH, dass die nationalen Splitter eines europäischen Bündelpatents, die in verschiedenen Vertragsstaaten verletzt würden, nicht auf Basis ihrer Konnexität vor einem einzigen mitgliedstaatlichen Gericht, beispielsweise am Gerichtort des Hauptsitzes des mutmaßlichen Verletzers, durchgesetzt werden können (EuGH, 13.07.2006 – C-539/03, Roche Nederland et al. v. Fredrick Primus and Milton Goldenberg). Auf dieser Basis ist ein grenzüberschreitendes Verletzungsverfahren ausgeschlossen. Die Spider-in-the-web-Doktrin war damit vom Tisch.
Zum anderen entschied der EuGH, dass für die Beurteilung der Validität eines Patents die ausschließliche Zuständigkeit der entsprechenden Gerichte des Staates gilt, indem das Patent erteilt wurde. Und zwar unabhängig davon, ob Nichtigkeit per Klage oder per Einrede im Verletzungsverfahren geltend gemacht wird (EuGH, 13.07.2006 – C-4/03, GAT v. LuK). Sobald ein Beklagter eine entsprechende Einrede in einem Verletzungsverfahren stellt, muss das relativ zum Erteilungsstaat des Patents ausländische Verletzungsgericht aussetzen, bis das für den Bestand ausschließlich zuständige Gericht über die Validität des Streitpatentes entschieden hat. Dies wurde vom europäischen Gesetzgeber entsprechend in die Brüssel-Ia-VO übernommen und zwar ohne die Einrede an weitere Vorraussetzungen zu knüpfen, z.B. durch Definition einer Frist, in der eine Nichtigkeitsklage zu erfolgen hätte. Entsprechend zerstörerisch für ein grenzüberschreitendes Verletzungsverfahren kann Einrede zur Nichtigkeit des Klagepatents eingelegt werden, ohne dass der die Einrede geltend machende Verletzungsbeklagte verpflichtet ist, den Bestand des Patentes tatsächlich zu anzugreifen.
Eine grenzüberschreitende Nichtigkeitsklage ist mangels eines europäischen Gerichtsstandes zur Beurteilung der Gültigkeit von Patenten ebenfalls nicht möglich. Als alleinige Alternative verbleibt für ein europäisches Bündelpatent der Einspruch beim EPA gemäß Art. 99 EPÜ. Dieser ist allerdings innerhalb einer Frist von neun Monaten nach Erteilung einzulegen und bietet somit oft kein zulässiges Mittel, einer Patentverletzungsklage die Grundlage zu entziehen.
Um einen grenzüberschreitenden Patentschutz zu bieten, wird schon seit Langem daran gearbeitet, materielles und prozessuales Patentrecht vom Territorialitätsprinzip zu lösen und ein Europäisches Einheitspatent samt entsprechender Gerichtsbarkeit für Verletzung und Bestand des Einheitspatents anzubieten. Das EU-Einheitspatent, welches sich derzeit samt eines einheitlichen EU-Patentgerichts (Unified Patent Court) im Ratifizierungsprozess befindet, ist die aktuellste Version dieser Bestrebungen. Es würde flankierend zum nationalen Patentschutz erhebliche Möglichkeiten bieten, technische Erfindungen effektiv zu schützen.