NEWS & INSIGHTS

Podcast zu IP in China

Für den Podcast “Mittelstand im Wandel” wurden unsere Patentanwälte Ludwig Lindermayer und Dr. Martin Kuschel eingeladen. Thema war der gewerbliche Rechtsschutz bzw. IP in China. Vor allem grundsätzliche Strategien wurden besprochen, die sich für deutsche Firmen anbieten, wenn geistiges Eigentum in China abgesichert werden soll. 

Das Reich der Mitte hat mittlerweile ein ausgereiftes und effektives System für Patente, Marken und Designs. Zu einem nicht unerheblichen Teil hat dafür das deutsche Rechtssystem Modell gestanden. Das und Vieles mehr haben unsere Anwälte im professionellen und kurzweiligen Gespräch mit den beiden Gastgebern, Herrn Pinker und Herr von Michel, diskutiert.

Hier gehts zur Aufnahme:

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Vorträge für KMU

Hocherfreut konnten Herr Lindermayer und Herr Kuschel nach pandemiebedingter Pause wieder an einer Veranstaltung, diesmal für KMU, teilnehmen. Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft Unternehmerverband Deutschlands e.V. (kurz BVMW) hatte eingeladen zu aktuellen Themen und Entwicklungen im IP Management.

Die Veranstaltung fand am 28. September 2021 im Künstlerhaus in München satt. Herr Lindermayer trug zu ‘Marken und Patente in China’ vor. Herr Kuschel zum ‘Patentschutz auf Software, insbesondere Simulationen’. Im Kreis aus Wirtschaftsvertretern und Anwälten kam es zu interessanten Gesprächen, weit über die vorgetragenen Themen hinaus.

Anbei der Bericht:
https://www.bvmw.de/landesgeschaeftsstelle-bayern/news/10571/bvmw-event-zu-aktuellen-themen-und-entwicklungen-im-ip-management/.

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Griffbereich des Fachmanns

Der fachmännische Griffbereich

Die Rechtsfigur des fachmännischen Griffbereichs dient dazu ohne konkrete Veranlassung – also im Wesentlichen veranlassungslos – Merkmale zur Argumentation für das Naheliegen einer Erfindung heranzuziehen. Zur Erinnerung: ein Anlass oder eine Anregung ist für den Fachmann im Allgemeinen erforderlich, um eine bekannte Technologie weiterzuentwickeln. Die gilt gerade auch dann, wenn die Weiterentwicklung nahegelegt, also ohne erfinderische Tätigkeit, erfolgt sein soll.

BGH “Führungsschienenanordnung”

Dazu stellt der BGH in der jüngst ergangenen Entscheidung “Führungsschienenanordnung” vom 15. Juni 2021 (X ZR 58/19) fest:
“Wenn ein bestimmtes Mittel als generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen gehört und sich auch in dem konkret zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt, ist eine Anwendung aus fachlicher Sicht nicht allein deshalb untunlich, weil dieses Mittel generell bestimmte Nachteile aufweist oder weil im konkreten Zusammenhang auch andere Ausführungsformen in Betracht kommen.“ 

Der BGH rundet hier eine Rechtsprechungslinie ab, die in den letzten Jahren nur eine Richtung kannte: Den Griffbereich des Fachmanns durch Aufstellen von notwendigen Anforderungen zu verkleinern. Die veranlassungslose Einordnung von Anspruchsmerkmalen in den Griffbereich des Fachmanns war eine oft missbrauchte Methode, um ohne jeglichen Aufwand ein Naheliegen einer Erfindung zu begründen und damit deren Patentierbarkeit zu versagen. Dieser Vorgehensweise war im grobschlächtigen Argumenteaustausch des Prüfungsverfahrens anmelderseitig nur schwer beizukommen.

BGH “Farbversorgungssystem”

Bereits in der Entscheidung „Farbversorgungssystem“ (BGH GRUR 2014, 647) hatte der BGH festgestellt:
Gehört eine maschinenbautechnische Lösung als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel Ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Ingenieurs, kann Veranlassung zu ihrer Heranziehung bereits dann bestehen, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen.

BGH “Spinfrequenz”

In der Entscheidung „Spinfrequenz“ (BGH GRUR 2018, 509) bestätigte der BGH diese Rechtsprechung auch für andere als maschinenbautechnische Lösungen:
“Die Annahme, dass der Fachmann Anlass zur Heranziehung einer bestimmten technischen Lösung hatte, auch wenn ein konkretes Vorbild hierfür nicht aufgezeigt werden kann, setzt Feststellungen dazu voraus, dass diese Lösung als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen gehörte, dass sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und dass keine besonderen Umstände vorliegen, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen.”

BGH “Kinderbett”

Nichts anderes, allein mit anderen Worten, hatte der BGH in der Entscheidung „Kinderbett“ (BGH GRUR 2018, 716) formuliert:
„Die generelle Eignung eines zum allgemeinen Fachwissen zählenden Lösungsmittels kann nur dann als Veranlassung zu ihrer Heranziehung genügen, wenn für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar ist, dass eine technische Ausgangslage besteht, in der sich der Einsatz des betreffenden Lösungsmittels als objektiv zweckmäßig darstellt.

Zusammenfassung

In der aktuellen Entscheidung bestätigt der BGH, dass im Griffbereich des Fachmanns nur Standardmerkmale liegen können, die sich im Rahmen der offenbarten Erfindung als objektiv zweckmäßig darstellen. Allein normale Nachteile, die sich dabei einstellen könnten, oder die Existenz anderer Ausführungsformen sind nicht mehr als gegenteilige, griffbereichsausschließende Umstände anzusehen.

Damit hat der BGH ein oft missbrauchtes Totschlagargument auf eine sinnvolle Schranke für erfinderische Tätigkeit zurückgeführt, deren Begründung nunmehr zudem aufwendiger sein wird.

Für das allgemeine Fachwissen gilt nach wie vor, was der BGH bereits 2009 in der Entscheidung “Airbag-Auslösesteuerung” (BGH GRUR 2009, 743) prägnant als Leitsatz formulierte:
“Der Umstand, dass die Kenntnis eines technischen Sachverhalts zum allgemeinen Fachwissen gehört, belegt noch nicht, dass es für den Fachmann nahegelegen hat, sich bei der Lösung eines bestimmten technischen Problems dieser Kenntnis zu bedienen.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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5 rules for drafting claims

Das “fast ideale Patent” – eine Lehrmethode

Um die Formulierung von Patentansprüchen zu lehren, erzählte mir mein Ausbilder vor langer Zeit vom “fast idealen Patent”. Das “fast ideale Patent” basiert auf Ansprüchen mit detailreicher Sprache und vielen Strukturmerkmalen. Dies ermöglicht es, eine Erfindung allein auf Basis der (unabhängigen) Ansprüche eines Patentes zu verstehen, auch ohne die Figuren zu betrachten oder die Beschreibung zu lesen. Allein diese Art von Ansprüchen verschafft dem “fast idealen Patent” viele Vorteile:

– Der Erfinder/Inhaber des Patents kann seine Erfindung aus dem wichtigsten Teil des Patents (den unabhängigen Ansprüchen) leicht wiedererkennen.
– Der Prüfer beim Patentamt profitiert vom selben Effekt und wird höchstwahrscheinlich keinen Stand der Technik finden.
– Dies wiederum wird den Erfinder/Inhaber des Patents noch mehr freuen, da eine schnelle Erteilungsentscheidung und geringe Erteilungskosten zu erwarten sind.
– Auch jeder Konkurrent kann sich über das Patent freuen. Denn seine Produkte oder Dienstleistungen werden nicht alle der vielen detailreichen Anspruchsmerkmale umsetzen und daher das Patent nicht verletzen. Zudem bekommt er durch das Patent sogar eine kostenlose Anregung, wie ungeschützte Ausführungsformen zu entwickeln und vermarkten sind.

Die Vorteile für Konkurrenten machen deutlich, warum mein Ausbilder ein solches Patent nur als “fast ideal” bezeichnete.  Allein als ironische Übertreibung. – Das Problem mit detaillierten Patentansprüchen besteht nämlich darin, dass sie keinen Schutzumfang gewähren. Patente mit solchen Ansprüchen stellen im Grunde eine Fehlinvestition dar (es sei denn, ein rein zahlenorientiertes Patentportfolio ist gewünscht). Dieser Pfusch wird so lange Geld kosten, bis der Patentinhaber das Problem endlich erkennt, das Patent aus anderen Gründen aufgibt oder die Laufzeit des Patents endet (für ein deutsches Patent würde dies zu vergeudeten Jahresgebühren von etwa 13.000 Euro führen).

Fünf Regeln für das Formulieren von Patentansprüchen

Aber wie sieht ein guter Anspruchssatz aus? Und was ist ein optimaler Inhalt für einen unabhängigen Anspruch? Dies ist keine einfache Frage. Im Folgenden werden fünf wichtige Aspekte für die Abfassung von Patentansprüchen erläutert: Abstraktion, Benutzbarkeit, Prüfbarkeit, Durchsetzbarkeit und Anpassbarkeit. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte wird ein Patent den starken Schutz entfalten, den der Anmelder für die Erfindung verdient und der die Investition in das Patent rechtfertigt.

1. Abstraktion

Zuallererst muss ein Patentanspruch eine Abstraktion der Ausführungsformen der Erfindung formulieren. Nur durch eine Abstraktion kann ein Schutzumfang gewährt werden, der über die vom Erfinder gemeldeten Ausführungsformen hinausgeht. Das Erfordernis der Abstraktion ist vom Bundesgerichtshof (BGH) mehrfach festgestellt worden. In der Entscheidung “Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren” (BGH GRUR 2013, 1210) führte das Gericht aus:
“Dem Patentanmelder steht es grundsätzlich frei, den Schutz durch die Ansprüche nicht auf die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen ausdrücklich beschriebenen Ausführungsformen zu beschränken, sondern gewisse Verallgemeinerungen vorzunehmen, sofern dies dem berechtigten Anliegen Rechnung trägt, die Erfindung in ihrer Gesamtheit zu erfassen.”
Mit anderen Worten: Ein Anspruch sollte eine Abstraktion der Ausführungsformen sein, darf aber nicht eine Abstraktion der Erfindung sein. Der Erfinder hat das Recht, die Erfindung in ihrem gesamten Umfang zu schützen. Der BGH sah es sogar als legitim an, wenn diese Abstraktion Ausführungsformen umfasst, die nicht funktionieren. Dieses Erfordernis, das auch als “Ausführbarkeit” bezeichnet wird, gilt für ein Patent, nicht aber für einen Anspruch.

Die Maximierung des Schutzumfangs führt zu einer ersten Regel für die Formulierung eines guten Patentanspruchs: Ein unabhängiger Anspruch sollte nur Merkmale umfassen, die in allen Ausführungsformen der Erfindung vorhanden sind. So einfach dies auch klingt, in der Praxis ist dies schwierig. Die Identifikation der Erfindung unabhängig von den einzelnen Ausführungsformen ist eine der kompliziertesten Aufgaben einer Patenanwältin oder eines Patentanwalts bei der Ausarbeitung einer Patenanmeldung.

2. Verwendbarkeit

Es hat sich gezeigt, dass eine Destillation der Erfindung aus ihren Ausführungsformen den Prozess der Ausarbeitung einer Patentanmeldung auch für den Erfinder/Inhaber erschwert. Wie bereits eingangs erwähnt, sollte der Erfinder/Inhaber verstehen, was der Gegenstand eines Anspruchs seines Patentes ist. Denn dieser soll von ihr/ihm verwendet werden. Oft ist der Erfinder/Inhaber des Patents der Einzige, der den Markt nach patentverletzenden Produkten absucht. Wenn sie/er sich über den Schutzumfang des Patents nicht im Klaren ist, ist eine wirksame Identifikation von patentverletzenden Produkten oder Dienstleistungen nicht möglich.

Daher kann als zweite Regel festgehalten werden: Ein Erfinder/Inhaber sollte immer in der Lage sein zu verstehen, was die allgemeinste Form der Erfindung ist und wie sie im Anspruch beschrieben wird. Wie schwierig dies sein kann, kann man sich an der Tatsache vergegenwärtigen, dass während der gesamten Laufzeit eines Patents verschiedene Patentinhaber und/oder verschiedene Patentanwälte für das Patent zuständig sein können für die diese Regel immer erfüllt sein sollte.

3. Prüfbarkeit

Eine Patentanmeldung, die unter Berücksichtigung der beiden oben genannten Regeln verfasst wurde, könnte bereits zu einem anständigen Patent führen. Allerdings fehlt noch die Perspektive der Prüfungsabteilung im Patentamt. Der Prüfer ist die erste Instanz, die einen unabhängigen Anspruch gewährt oder ablehnt. Prüfer kümmern sich um die materiellen Aspekte des Patents, wie Neuheit, erfinderische Tätigkeit und ausführbare und hinreichende Offenbarung. Prüfer achten auch auf formale Aspekte wie Klarheit des beanspruchten Schutzumfangs. Sie müssen sicherstellen, dass die Gesellschaft weiß, was geschützt ist. Obwohl das Erfordernis der Klarheit rechtlich genau definiert ist, wird es oft mit der Breite des Patentanspruchs verwechselt.

Noch schwieriger wird es bei Ansprüchen, bei denen eine Recherche zum Stand der Technik für eine Prüferin oder einen Prüfer nur schwer durchführbar ist. Die Recherche zum Stand der Technik ist die Hauptaufgabe der Prüfungsabteilung. Wird diese durch die Anspruchssprache erschwert, ist eine Erteilung des Patents unwahrscheinlich. Es gilt zu bedenken: Prüfer sind Menschen mit rationalen und subjektiven, d.h. weniger rationalen, Bewertungen, von denen eine positive Entscheidung gewünscht wird.

Dies führt zu einer dritten Regel: Die Anspruchssprache soll einen klaren Eindruck von der Erfindung vermitteln und Prüfern eine Recherche zum Stand der Technik erleichtern. Ein Problem dieser Regel ist, dass sie im Widerspruch zur ersten Regel stehen kann. Denn ein klarer Eindruck wird durch Details vermittelt. Und Details – zumindest wenn sie nur zu bestimmten Ausführungsformen gehören – schränken den Schutzbereich ein und begründen die Gefahr ungeschützter Ausführungsformen der Erfindung.

4. Durchsetzbarkeit

Dies führt zu einer weiteren Anforderung an einen guten Patentanspruch: Er muss durchsetzbar sein. Die Durchsetzbarkeit sinkt mit geringerem Schutzumfang und insbesondere mit Anspruchsdetails, deren Realisierung in einer Verletzungsform – vor Gericht oder erst recht in informellen Lizenzierungsgesprächen mit einem Verletzer – nur schwer zu begnügen sind. Ein Verletzer wird alles tun, um zu argumentieren, dass nicht alle Anspruchsmerkmale in seiner Ausführungsform implementiert sind. Anspruchsmerkmale, die nicht abstrakt sind und die sich auf bestimmte Strukturen einer Ausführungsform beziehen, sind in dieser Hinsicht die gefährlichsten Details. Zu bedenken ist, dass alle Merkmale eines Anspruchs für ein schutzrechtsverletzendes Produkt oder eine schutzrechtsverletzende Dienstleistung realisiert sein müssen.

Selbst in einem an sich breit gefassten Anspruch kann ein einziges Detail dazu führen, dass der Anspruch nicht durchsetzbar ist. Dies ist noch schwieriger, wenn ein standardessenzielles Patent (SEP) angestrebt wird. Immer mehr Normen scheinen absichtlich breit formuliert zu sein, um eine Patentierung der Norm zu erschweren. Daher muss die Anspruchssprache breiter sein, um das jeweilige Merkmal eines einzureichenden Standardbeitrags abzudecken.

Dies führt zur vierten Regel: Ein Anspruch soll frei von Flaschenhälsen oder schwer nachzuweisenden Merkmalen sein. Die Durchsetzungsperspektive wird bei der Abfassung von Patentansprüchen oft vergessen. Weil sie erst in ferner Zukunft relevant wird. Und weil der abfassende Patentanwalt mit Lizenzierung und Rechtsstreitigkeiten möglicherweise nicht vertraut ist. Informationen aus diesen Erfahrungen können dann nicht in den Ausarbeitungsprozess einfließen. Es sollte jedoch deutlich gemacht werden, dass die Hauptmotivation für die Investition in ein Patent der Schutz der Erfindung ist – und Schutz ist die Wirkung von Durchsetzbarkeit.

5. Anpassungsfähigkeit

Der BGH hat die Schwierigkeiten bei der Erstellung von Ansprüchen anerkannt. In der Entscheidung “Kommunikationskanal” (BGH GRUR 2014, 542) stellte das Gericht fest:
“Soweit Ansprüche bereits in einer Anmeldung formuliert werden, haben diese […] nur einen vorläufigen Charakter. Erst im weiteren Prüfungsverfahren muss herausgearbeitet werden, was im Lichte des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt.”
Daraus folgt, dass die Ansprüche einer Patentanmeldung den Schutzbereich bei der ersten Einreichung der Anmeldung nicht bereits perfekt definieren müssen. Die Einreichung perfekter Ansprüche bei der ersten Anmeldung ist sogar unmöglich, da der Prüfer erst in Verlauf des Prüfungsverfahrens die dafür erforderliche Informationen (z. B. zum Stand der Technik) bereitstellt.

Die ursprünglichen Ansprüche einer Patentanmeldung sollten einen anpassungsfähigen Ausgangspunkt bilden, um am Ende des Erteilungsverfahrens oder eines Einspruchsverfahrens zu einem breiten, verständlichen und durchsetzbaren Anspruchssatz für das spätere Patent zu gelangen. Dies sollte die fünfte Regel für die Abfassung von Ansprüchen für eine Patentanmeldung sein.

Zusammenfassung

Zusammengefasst lauten die fünf Regeln:

1. Ein unabhängiger Anspruch soll nur Merkmale enthalten, die in allen Ausführungsformen der Erfindung vorhanden sind.
2. Ein Erfinder/Inhaber soll immer in der Lage sein zu verstehen, was die breiteste Ausführungsform der Erfindung ist und wie sie durch den Anspruch geschützt wird.
3. Die Formulierung des Anspruchs soll einen klaren Eindruck von der Erfindung vermitteln und dem Prüfer eine Recherche zum Stand der Technik erleichtern.
4. Ein Anspruch soll keine Flaschenhälse oder schwer nachzuweisende Merkmale enthalten.
5. Die Ansprüche einer Patentanmeldung sollen einen anpassungsfähigen Ausgangspunkt bilden, um zu einem breiten, verständlichen und durchsetzbaren Anspruchssatz für ein späteres Patent zu gelangen.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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Vereinheitlichter Patentschutz

Die Notwendigkeit für einen gemeinschaftlichen europäischen Patentschutz

Im Gegensatz zu vielen Rechtsbereichen mit grenzüberschreitenden Bezug ist das Patentrecht in der Europäischen Union überwiegend im Territorialitätsprinzip verhaftet geblieben. Für die Erteilung und Durchsetzung von Patenten ist jeder EU-Mitgliedstaat selbst verantwortlich. Zwar gibt es das völkervertragliche Europäische Patentabkommen (EPÜ), durch welches der Erteilungsprozess einer Bündelanmeldung beim Europäischen Patentamt (EPA) zentralisiert wird. Das Ergebnis sind allerdings auch hier allein nationale Patente.

Ein völkerrechtlicher Vertrag für ein multinationales Patent analog zum EPÜ existiert nicht. In den EU-Verträgen gibt es zwar im Art. 118 EUV eine primärrechtliche Grundlage für einen gemeinschaftlichen Schutz von geistigem Eigentum. Allerdings wurde diese bisher nicht für operative grenzüberschreitende Regelungen für Patente genutzt. Auch das existierende Sekundärrecht, insbesondere die Brüssel-Ia-Verordnung, bietet dafür keinen Ansatzpunkt.

Dies war am Anfang des Jahrhunderts anders. Auf Basis des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (einem Vorgänger der Brüssel-Ia VO) war es möglich, als Inhaber eines Patents einen Verletzer an dessen allgemeinen Gerichtsstand (also dessen Wohnsitz oder Sitz) zu verklagen (Spider-in-web-Doktrin). Zudem war es möglich, eine Patentverletzungsklage am Ort des schädigenden Ereignisses anzustrengen oder auf Basis des Gerichtsstandes der Streitgenossenschaft auch an dem allgemeinen Gerichtsstand eines anderen Beklagten zu klagen. Dies ist prinzipiell auch auf Basis der Brüssel-Ia-VO auch heute noch möglich.

Allerdings ist die praktische Realisierung solcher grenzüberschreitender Verfahren durch zwei Entscheidungen des EuGH zum Erliegen gekommen.

Zum einen entschied der EuGH, dass die nationalen Splitter eines europäischen Bündelpatents, die in verschiedenen Vertragsstaaten verletzt würden, nicht auf Basis ihrer Konnexität vor einem einzigen mitgliedstaatlichen Gericht, beispielsweise am Gerichtort des Hauptsitzes des mutmaßlichen Verletzers, durchgesetzt werden können (EuGH, 13.07.2006 – C-539/03, Roche Nederland et al. v. Fredrick Primus and Milton Goldenberg). Auf dieser Basis ist ein grenzüberschreitendes Verletzungsverfahren ausgeschlossen. Die Spider-in-the-web-Doktrin war damit vom Tisch.

Zum anderen entschied der EuGH, dass für die Beurteilung der Validität eines Patents die ausschließliche Zuständigkeit der entsprechenden Gerichte des Staates gilt, indem das Patent erteilt wurde. Und zwar unabhängig davon, ob Nichtigkeit per Klage oder per Einrede im Verletzungsverfahren geltend gemacht wird (EuGH, 13.07.2006 – C-4/03, GAT v. LuK). Sobald ein Beklagter eine entsprechende Einrede in einem Verletzungsverfahren stellt, muss das relativ zum Erteilungsstaat des Patents ausländische Verletzungsgericht aussetzen, bis das für den Bestand ausschließlich zuständige Gericht über die Validität des Streitpatentes entschieden hat. Dies wurde vom europäischen Gesetzgeber entsprechend in die Brüssel-Ia-VO übernommen und zwar ohne die Einrede an weitere Vorraussetzungen zu knüpfen, z.B. durch Definition einer Frist, in der eine Nichtigkeitsklage zu erfolgen hätte. Entsprechend zerstörerisch für ein grenzüberschreitendes Verletzungsverfahren kann Einrede zur Nichtigkeit des Klagepatents eingelegt werden, ohne dass der die Einrede geltend machende Verletzungsbeklagte verpflichtet ist, den Bestand des Patentes tatsächlich zu anzugreifen.

Eine grenzüberschreitende Nichtigkeitsklage ist mangels eines europäischen Gerichtsstandes zur Beurteilung der Gültigkeit von Patenten ebenfalls nicht möglich. Als alleinige Alternative verbleibt für ein europäisches Bündelpatent der Einspruch beim EPA gemäß Art. 99 EPÜ. Dieser ist allerdings innerhalb einer Frist von neun Monaten nach Erteilung einzulegen und bietet somit oft kein zulässiges Mittel, einer Patentverletzungsklage die Grundlage zu entziehen.

Um einen grenzüberschreitenden Patentschutz zu bieten, wird schon seit Langem daran gearbeitet, materielles und prozessuales Patentrecht vom Territorialitätsprinzip zu lösen und ein Europäisches Einheitspatent samt entsprechender Gerichtsbarkeit für Verletzung und Bestand des Einheitspatents anzubieten. Das EU-Einheitspatent, welches sich derzeit samt eines einheitlichen EU-Patentgerichts (Unified Patent Court) im Ratifizierungsprozess befindet, ist die aktuellste Version dieser Bestrebungen. Es würde flankierend zum nationalen Patentschutz erhebliche Möglichkeiten bieten, technische Erfindungen effektiv zu schützen.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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Brexit und Patente, Marken, Designs

– von Martin Kuschel –

Kurz vor dem Ende der Übergangsperiode am Jahresende haben es die EU und das Vereinigte Königreich am 24.12.2020 doch noch geschafft ein Freihandelsabkommen zu vereinbaren. Ein harter Brexit wird vermieden, der beide Parteien für eine Zusammenarbeit allein den WTO-Regeln überlassen hätte. Dennoch sind bereits jetzt durch die Vereinbarungen und durch die Regelungslücken Hindernisse in der zukünftigen Zusammenarbeit beider Parteien erkennbar. Dies gilt gerade auch für IP-rechtliche Problemfelder.

I. Das Freihandelsabkommen im Allgemeinen

Das Freihandelsabkommen ist alles andere als umfassend. Es fehlen viele Aspekte, die zuvor durch die EU-Grundfreiheiten (Freiheiten des Dienstleistungs-, Kapital-, Personen-, und Warenverkehrs) gelöst waren. Auch von einer justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen ist kaum die Rede. Die gegenseitige Anerkennung und Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen sowie etliche andere Regelungen für grenzüberschreitende Zivil- und Handelssachen, die für EU-Mitgliedsstaaten gelten, gehören damit im Verhältnis zum Vereinigten Königreich (zunächst einmal) der Vergangenheit an.

II. Die Regelungen zum gewerblichen Rechtsschutz

Der gewerbliche Rechtsschutz erfährt jedoch gleich im zweiten Teil des Abkommens („Part two: Trade, transport, fisheries and other arrangements“) ein eigenes Unterkapitel. Dort verpflichten sich zunächst beide Seiten auf ein angemessenes und effektives Niveau zum Schutz von geistigen Eigentum. Ebenfalls verpflichten sich beide Seiten zur Einhaltung grundsätzlicher internationaler Verträge des modernen IP-Rechts (u.a. TRIPS, Pariser Verbandsübereinkunft, Berner Übereinkunft, WIPO Vertrag zum Urheberrecht, Protokoll zum Madrider Markenabkommen). Beide Partien verpflichten sich auch dem Prinzip der Inländergleichbehandlung für alle Arten gewerblicher Schutzrechte, abgesehen bestehender Ausnahmen durch internationale Verträge.

a) materiell-rechtliche Regelungen

Materiell sind die wichtigen Schutzrechte adressiert: Urheberrecht, Marken, Designs, Schutzrechte auf Pflanzen sowie Patente. Auch der Umgang mit Geschäftsgeheimnissen ist Thema des Abkommens. Insbesondere wird auf Marken und Designs eingegangen, da diese Schutzrechte in ihrer grenzübergreifenden Ausgestaltung auf europäische Verordnungen zurückgehen, die mit dem Brexit und nach der Übergangsperiode für das Vereinigte Königreich obsolet sind.

Explizit ausgenommen von einer Regelung ist die Frage nach der Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten. Wie auch für die Regelungen der justiziellen Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Zivilsachen fehlt hier bisher ein Vertrauenskonzept, um sich zu einigen. Damit verringert sich beispielsweise die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung für Patente und Marken auf die verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten. Waren und Dienstleistungen, die im Vereinigten Königreich mit Zustimmung eines Patent- oder Markeninhabers in den Verkehr kommen, führen nicht mehr zur Erschöpfung von dessen parallelen Schutzrechten in einem EU-Mitgliedsstaat. Umgedreht gilt Entsprechendes: Waren und Dienstleistungen, die in der EU mit Zustimmung des Patent- oder Markeninhabers in den Verkehr gelangen und in das Vereinigte Königreich importiert werden, verletzen dessen paralleles britisches Schutzrecht weiterhin. Dies bedeutet eine erhebliche Einschränkung des freien Warenverkehrs.

b) formell-rechtliche Regelungen

Zivilprozessual bekennen sich die Parteien dazu, Methoden zur Sachverhaltsaufklärung und Beweissicherung zur Verfügung zu stellen. Die Bandbreite der nationalen Maßnahmen ist allerdings groß (umfassende discovery im Vereinigten Königreich und Saisie-contrefaçon in Frankreich, dagegen eingeschränktes selbstständiges Beweisverfahren in Deutschland). Das dürfte sich aufgrund des Abkommens wohl kaum ändern. Maßnahmen zum einstweiligen Rechtsschutz sollen ebenso von beiden Seiten bereitgestellt werden, wie die Möglichkeit korrigierende Maßnahmen, Schadensersatz oder Unterlassungen anzuordnen. Auch hier soll sicherlich kein konsolidierender Effekt bei den vielfältigen nationalen Implementierungen bewirkt werden. Im Allgemeinen bleiben die Vereinbarungen im Rahmen der für beide Parteien untereinander nun nicht mehr geltenden Durchsetzungsrichtlinie (Richtlinie 2004/48/EG), deren Regelungen und Systematik jedoch nahezu identisch übernommen wurden.

Eine wichtige Motivation der Briten für den Brexit war die Loslösung vom EuGH als Kontrollinstanz zur Auslegung und Durchsetzung grenzüberschreitender Regelungen. Dies ist nunmehr zumindest für die im Freihandelsabkommen vereinbarten IP-rechtlichen Themen endgültig erfolgt. Anstelle des EuGH wird ein ausschließlicher Streitbeilegungsmechanismus vereinbart, der im sechsten Teil des Abkommens (“Part six: Dispute settlement and horizontal provisions”) dargelegt ist.

III. Fazit

Unterm Strich scheint das Unterkapitel zum gewerblichen Schutzrecht in den Verhandlungen ein weniger kompliziertes Thema gewesen zu sein. Die dort festgelegten Regelungen umfassen leicht zustimmungsfähige Aspekte aus internationalen Verträgen, den nationalen Rechtsordnungen sowie aus der Durchsetzungsrichtlinie. Allein der Streitbeilegungsmechanismus ist neu. Es wird sich zeigen, inwiefern durch diesen überhaupt regelnd eingegriffen werden muss. Grenzüberschreitende Aspekte mit Konfliktpotential, wie z.B. Erschöpfung, Rechtshängigkeitssperren oder gegenseitige Ausnahme zur Leistung von Prozesskostensicherheit, wurden ausgenommen. Vom EU-Gemeinschaftspatent hatten sich die Briten bereits freiwillig zurückgezogen.

Im Effekt ist durch das Freihandelsabkommen für den gewerblichen Rechtsschutz im Verhältnis der EU zum Vereinigten Königreich zementiert worden, was viele bei einem Brexit befürchtet hatten. Zum Preis der Loslösung von der EU ist nichts besser geworden, aber (zunächst) einiges komplizierter und einiges schlechter.

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Waren und Dienstleistungen

Der französische Philosoph Michel Foucault zitiert in seinem Buch „Die Ordnung der Dinge“ den Schriftsteller Jorge Luis Borges mit der folgenden Kategorisierung von Tieren eines Kaisers:

„a) Tiere, die dem Kaiser gehören,
b) einbalsamierte Tiere,
c) gezähmte,
d) Milchschweine,
e) Sirenen,
f) Fabeltiere,
g) herrenlose Hunde,
h) in diese Gruppierung gehörige,
i) die sich wie Tolle gebärden,
k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind,
l) und so weiter,
m) die den Wasserkrug zerbrochen haben,
n) die von weitem wie Fliegen aussehen.“

Diese für viele absurd klingende Aufzählung offenbart auf humoristische Art typische Problemfelder bei der Kategorisierung von Information, und damit auch beim Aufstellen von Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen: Wie abstrakt bzw. konkret sind Waren und Dienstleistungen zu erfassen, damit sie effektiv und vollständig geschützt werden? Welche Kategorien werden gerade noch akzeptiert und welche nicht? Welche Hierarchien sind zweckmäßig? Oder, welche unbewussten Annahmen liegen gewählten Kategorisierungen zu Grunde? Allgemein: Welche sprachlichen und inhaltlichen Probleme verbergen sich hinter dem Erstellen von Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen?

Im Folgenden werden dazu gesetzliche Rahmenbedingungen für deutsche, europäische und internationale Marken beschrieben sowie Entwicklungstendenzen zur Vereinheitlichung der Erstellung von Waren und Dienstleistungsverzeichnissen, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung “IP-Translator”. Daraus ergeben sich einige wichtige Konsequenzen für die Praxis.

I. Nizza Klassifikation

Die Nizza-Klassifikation von 15. Juni 1957 bildet eine wesentliche Basis für die Markenpraxis nahezu aller Rechtskreise. Sie wird von der WIPO verwaltet und besteht aus zwei Teilen: der Klasseneinteilung und der Alphabetischen Liste. Die Klasseneinteilung umfasst Oberbegriffe und Erläuterungen zu deren Auslegung. Die Alphabetische Liste umfasst Waren und Dienstleistungen, die unter die Oberbegriffe der Klassen fallen.

Die Nizza-Klassifikation beruht (mittlerweile) auf dem Grundgedanken der Vollständigkeit. Sie sieht die Aufteilung aller denkbaren Waren und Dienstleistungen in 45 Klassen vor (34 Waren- und 11 Dienstleistungsklassen) und wird jährlich aktualisiert. Es soll keine Waren- und Dienstleistungen geben, die nicht unter wenigstens eine Klasse fallen. Auffangklassen sind nicht vorgesehen. Für Waren und Dienstleistungen, die nicht in der Alphabetischen Liste aufgeführt sind, muss die Klassenzugehörigkeit durch Auslegung bestimmt werden.

Aufgrund des Prinzips der Vollständigkeit kann eine Ware oder eine Dienstleistung sich zur Nizza-Klassifizierung generell wie folgt verhalten:

1. Sie kann unter einen Oberbegriff einer bestimmten Klasse fallen und in der Alphabetischen Liste genannt sein. Zum Beispiel fällt der Begriff „Sandalen“ unter den Oberbegriff „Schuhwaren“ in Klasse 25. Zudem wird er in der Alphabetischen Liste aufgeführt.

2. Sie kann unter einen Oberbegriff fallen, aber nicht in der Alphabetischen Liste genannt sein. Zum Beispiel ist „Fischsauce“ nicht in der Alphabetischen Liste aufgeführt, würde aber durch Auslegung als Aroma- und Lebensmittel unter die Klasse 30 einzuordnen sein.

3. Sie kann unter einer Klasse eingeordnet sein, aber dort unter keinen Oberbegriff fallen, jedoch in der Alphabetischen Liste genannt sein. Zum Beispiel sind „Übersetzungsdienstleistungen“ in Klasse 41 oder „Notenständer“ in Klasse 15 eingeordnet. Diese Waren und Dienstleistungen sind auch als „Orphans“ bekannt.

4. Sie kann unter eine Klasse fallen, aber weder von einem der Klassenoberbegriffe umfasst noch in der Alphabetischen Liste genannt sein. Dies gilt zum Beispiel für “Einzelhandelsdienstleistungen im Bereich Schuhe“ in Klasse 15.

Diese Fälle werden in einzelnen Jurisdiktionen teilweise unterschiedlich behandelt.

II. Unionsmarke

Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse von Unionsmarken werden nach Nizza kategorisiert. Das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis muss klar und eindeutig aus sich heraus sein (A. 33 Abs. 2) UMV), z.B. durch Verwendung der Oberbegriffe der Nizza-Klassifikation (A. 33 Abs. 3 UMV). Diese gesetzliche Anforderung ist eine unmittelbare Konsequenz aus der Entscheidung “IP-Translator” (EuGH C-307/10, GRUR 2012, 822), welche die Verwendung von Begriffen der Nizza-Klassifikation für Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse neu regelte.

Der Anmelder ist für eine klare und eindeutige Formulierung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses verantwortlich (A. 33 Abs. 4 UMV). Oberbegriffe sind so auszulegen, dass nur Waren und Dienstleistungen umfasst sind, die eindeutig unter den jeweiligen Oberbegriff fallen (A. 33 Abs. 5 UMV). Dabei ist bei der initialen Formulierung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses bereits darauf zu achten, dass die Oberbegriffe nicht zu eng gewählt werden. Eine Konkretisierung ist nachträglich erlaubt. Eine Erweiterung auf nicht erwähnte Waren und Dienstleistungen ist dagegen verboten.

Der Gesetzgeber hatte eine solche Erweiterung (und damit einen Verstoß gegen ein Grundprinzip des Markenrechts) einmalig als Konsequenz der Entscheidung IP-Translator ermöglicht, um bis dahin entstandene verschiedene Kategorisierungsmethoden zu vereinheitlichen. Bis zum 22. Juni 2012 wurden Unionsmarken teilweise allein für eine oder mehrere Klassenüberschriften (also für alle entsprechenden Oberbegriffe) der Nizza-Klassifikation eingetragen – ohne weitere Konkretisierung. Die Inhaber dieser Marken durften bis zum 24. September 2016 erklären, auch Waren und Dienstleistungen umfassen zu wollen, die von der wörtlichen Bedeutung eine Überschrift der betreffenden Klasse abweichen, die sie aber ursprünglich auch beabsichtigt hatten (A. 33 Abs. 8 UMV). Diese nachträgliche Ergänzungsmöglichkeit zeigt, wie wichtig dem Gesetzgeber mittlerweile Klarheit und Eindeutigkeit der ursprünglich eingereichten Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse ist.

Dennoch: Auch nach der Harmonisierung durch die Entscheidung IP-Translator gibt es eine erhebliche Grauzone zwischen dem, was von den Oberbegriffen oder – allgemeiner – Kategoriebegriffen in einem Waren- und Dienstleistungsverzeichnis eindeutig erfasst ist und dem, was eindeutig nicht erfasst ist bzw. nicht darunter erfasst werden kann (BeckOK MarkenR/v. Bomhard/Rohlfing-Dijoux UMV 2017 Art. 33 Rn. 9-12).

Grundsätzlich gilt aber: Der Schutzbereich einer Marke wird durch das ursprünglich eingereichte Verzeichnis festgelegt. Dieser kann später nicht mehr erweitert werden (BeckOK MarkenR/v. Bomhard/Rohlfing-Dijoux UMV 2017 Art. 33 Rn. 3-6). Sind weitere Waren und Dienstleistungen beabsichtigt, muss die Marke erneut angemeldet werden.

Die Klassifizierung dient nicht nur der Gebührenfeststellung. Sie wird auch für eine Auslegung der unter sie kategorisierten Waren herangezogen. Beansprucht ein Anmelder beispielsweise Tee in Klasse 5 (pharmazeutische Erzeugnisse und andere Erzeugnisse für medizinische Zwecke), so kann er dadurch auf medizinische Tees eingeschränkt sein (EuG T-221/12, BeckRS 2014, 81672 Rn. 35).

Für eine Verwechslungsgefahr hat die Nizza-Klassifikation der Unionsmarke jedoch (noch) keine Bedeutung. Waren oder Dienstleistungen werden nicht deswegen als ähnlich angesehen, weil sie in der gleichen Klasse kategorisiert sind.

III. Deutsche Marke

In der deutschen Amtspraxis wurde auch vor der Entscheidung “IP-Translator” bereits ein vollständiges und klassifiziertes Waren- und Dienstleistungsverzeichnis für die Eintragung einer Marke gefordert (§ 19 MarkenV). Um einen Anmeldetag zu erlangen, ist es ausreichend die gewünschten Waren- und Dienstleistungen formlos aufzuzählen oder einzelne Nizza-Klassen anzugeben, womit zunächst alle darunter fallenden Waren- und Dienstleistungen beansprucht werden. Diese Angaben müssen dann im weiteren Erteilungsprozess konkretisiert werden (Ströbele / Hacker / Thiering, Markengesetz, 12. Auflage 2018, § 32 MarkenG, Rn. 55).

Bei teilweise unklarem Waren- und Dienstleistungsverzeichnis wird nur für den klaren Teil ein Anmeldetag vergeben (Ströbele / Hacker / Thiering, Markengesetz, 12. Auflage 2018, § 32 MarkenG, Rn. 56). Wenn nur die Klassenüberschriften aufgeführt werden, so sind diese nach ihrem Wortsinn auszulegen. Diese Vorgehensweise ist mittlerweile in allen EU-Staaten Amtspraxis und gilt auch für Unionsmarken (Gemeinsame Mitteilung zur Anwendung von “IP-Translator” vom 24. September 2016, Tabelle 4 (GM), Tabelle 5 (nationale Marken)). Insofern hat sich die systematische Klassifizierung der Unionsmarke der nationalen deutschen Marke angeglichen (Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Auflage 2018, § 32 MarkenG, Rn. 98).

Allgemein gilt: Ist der Anmeldung ein Anmeldetag zuerkannt worden, kommt eine Änderung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnis nur noch durch eine Beschränkung in Betracht.

Des Weiteren veröffentlicht das DPMA eine Empfehlungsliste, die auf der Nizza-Klassifikation basiert und vom DPMA als unklar erachtete Oberbegriffe der Nizza-Klassifikation durch eindeutige und klar formulierte Waren und Dienstleistungen ergänzt („Empfehlungsliste des Deutschen Patent- und Markenamtes zur Klasseneinteilung der Waren und Dienstleistungen“, Ausgabe 2020).

Auch das DPMA hat also über die Nizza-Klassifikation hinausgehende Anforderungen an ein Waren- und Dienstleistungsverzeichnis, um dessen Klarheit und Bestimmtheit zu erhöhen. Darüber hinaus arbeitet das DPMA auf EU-Ebene im Rahmen des TMclass-Projektes an einer europaweiten Harmonisierung von klaren und eindeutigen Begriffen für Waren- und Dienstleistungen.

IV. Einheitliche Klassifikationsdatenbank und TMclass

Der EuGH hat in seiner Entscheidung „IP-Translator“ die Verwendung der Oberbegriffe der Nizza-Klassifikation dann erlaubt, wenn diese klar und eindeutig sind. Ob ein Klassenbegriff im Einzelfall diese Anforderungen erfüllt und welche Waren- und Dienstleistungen eindeutig und klar unter einen bestimmten Klassenbegriff kategorisiert werden können, wurde seitdem allerdings von unterschiedlichen Ämtern unterschiedlich beurteilt.

Die seitdem vom EUIPO und den nationalen Ämtern entwickelte “einheitliche Klassifikationsdatenbank” (auch “Harmonized Database”) versucht dieses Problem zu lösen. Die einheitliche Klassifikationsdatenbank enthält eine Vielzahl von als klar und eindeutig erachteten Oberbegriffen sowie dazugehörige Waren- und Dienstleistungen, die von allen EU-Mitgliedsstaaten akzeptiert sind. Diese sind über die „Taxonomie TMclass” einer hierarchischen Oberbegriffsstruktur zugeordnet. Durch die Taxonomie werden die mehr als 70.000 Waren- und Dienstleistungsbegriffe der einheitlichen Klassifikationsdatenbank, welche auch alle Waren- und Dienstleistungsbegriffe der Alphabetischen Liste der Klassifikation von Nizza umfasst, sinnvoll gegliedert (FAQ TMclass).

Die gemeinsam mit den nationalen EU-Markenämtern festgestellten unklaren Oberbegriffe der Nizza-Klassifikation („Maschinen“ in Kl. 7, „Reparaturwesen“; „Installationsarbeiten“ in Kl. 37, „Materialbearbeitung” in Kl. 40 und  von “Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ in Kl. 45) sind in der Datenbank nicht auswählbar jedoch mit auswählbaren und als klar erachteten Begriffen für Waren und Dienstleistungen ergänzt. Eine “harmonisierte Liste zurückgewiesener Begriffe” schafft weitere Klarheit.

Neben den harmonisierten Ämtern der EU-Staaten stellen auch die Zentralbehörden einer Vielzahl anderer Jurisdiktionen Informationen für TMclass bereit, z.B. China, Indien, Japan, Korea, USA und die WIPO.

Ein aus TMclass heraus generiertes Waren- und Dienstleistungsverzeichnis hat jedoch bezüglich der von TMclass bereitgestellten Struktur keine rechtliche Wirkung. Der Schutzumfang einer Marke wird allein durch die Bedeutung der Begriffe des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses bestimmt und nicht durch deren Position in der Taxonomie-Struktur (FAQ TMclass).

Dennoch: Ein allein aus Begriffen von TMclass erstelltes Waren- und Dienstleistungsverzeichnis wird in der Regel schneller akzeptiert, insbesondere von den harmonisierten Ämtern, und profitiert zudem von den umfangreichen Übersetzungen der Datenbank.

V. Internationale Marke und weitere Jurisdiktionen

Auch einem Antrag auf internationale Registrierung einer (deutschen) Basismarke ist ein Nizza-klassifiziertes Waren- und Dienstleistungsverzeichnis beizulegen (§ 120 Abs. 3 MarkenG für PMMA und § 108 Abs. 3 für MMA  – da aber alle MMA-Länder im PMMA enthalten sind und das PMMA  dem MMA vorgeht gilt damit nur § 120 Abs. 3), vorzugsweise unter Verwendung der Alphabetischen Liste (R. 9 Abs. 4 lit. a sublit. xiii GAusfO).

Die durch die einheitliche Klassifikationsdatenbank zu Verfügung gestellten Begriffe für Waren und Dienstleistungen können zur Ausdifferenzierung der beanspruchten Nizza-Klassen ein guter Startpunkt sein, auch wenn die WIPO kein harmonisiertes Amt der einheitlichen Klassifikationsdatenbank ist.

Ist nur eine von mehreren in Betracht kommenden Klassen angegeben, wird dies vom Internationalen Büro als Beschränkung auf diese Klasse angesehen. Allerdings sind die nationalen Behörden bei der späteren Bemessung des Schutzumfangs daran nicht gebunden (Art. 4 Abs. 1 lit. b PMMA).

Wie immer gilt das Verbot der nachträglichen Erweiterung des Schutzbereiches. Zwar darf das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis in verschiedenen Ländern unterschiedlich eingeschränkt werden, es darf aber nicht über das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis der Basismarke hinausgehen.

Auch in den USA muss sich das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis nach der Nizza-Klassifikation richten. Des Weiteren verlangt das USPTO eine Beschreibung jeder einzelnen Ware und Dienstleistung für welche Markenschutz gewünscht ist. Hinweise dazu liefert das “Acceptable Identification of Goods and Services Manual” vom USPTO.

In China wird ebenfalls die Nizza-Klassifikation verwendet. Allerdings sind die Nizza-Klassen dort in weitere Unterklassen aufgeteilt, wodurch der Schutzbereich weiter aufgefächert wird (https://www.china-iprhelpdesk.eu/sites/all/docs/publications/EN_TM_2016.pdf).

VI. Fazit und Praxishinweise

Die Schwierigkeiten und Unterschiede beim Aufstellen von Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen sind deutlich und werden auch zukünftig Probleme bereiten.

Zur effektiven Umsetzung von Vereinheitlichungsbestrebungen, die insbesondere durch die Entscheidung “IP-Translator” angestoßen wurden, mussten per Gesetz sogar Grundprinzipien des Markenrechtes ausgehebelt werden. Die im Nachgang dazu entstandene einheitliche Klassifikationsdatenbank und die TMclass-Taxonomie haben zu einer verbesserten gemeinsamen Orientierung geführt. Problematisch sind jedoch die durch TMclass entstehenden langen und redundanten Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse, die zwar konkreter sind, aber ebenso unklar, wenn der Wald vor lauter Bäumen nicht sichtbar ist.

Zudem gesellen sich zwei Grundprobleme aller Vereinheitlichungsbestrebungen für Waren- und Dienstleistungsbegriffe. Neue Waren und Dienstleistungen müssen erst einen begrifflichen und inhaltlichen Verständnisprozess durchlaufen, um eindeutig klassifiziert werden zu können. Und scheinbar etablierte Begriffe können durch wirtschaftliche und technische Entwicklungen eine Neudefinition erfordern. Dadurch ergibt sich ein stetiger Raum für unterschiedliche Auslegungen und divergierende Entscheidungen.

In diesem Zusammenhang verhandelt der EuGH zurzeit im Fall Sky vs. Skykick (EuGH C-371/18) über Klarheit und Bestimmtheit des Begriffs „Computersoftware“. Ausgehend von Vorlagefragen des britischen High Court of Justice ist zu ermitteln, ob der Begriff „Computersoftware“ den o.g. Kriterien der Entscheidung “IP-Translator” entspricht. Der Generalanwalt hält in seinem Schlussantrag den Begriff zwar für klar, allerdings nicht für konkret genug. Denn Computersoftware umfasst mittlerweile Waren und Dienstleistungen, die in Funktionen und Anwendungsbereichen zu verschieden seien. Damit ist ein weiterer Untergang eines Begriffs der Nizza-Klassifikation zu erwarten.

Der Anmelder ist beim Aufstellen von Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen gut beraten, die existierenden modernen Hilfsmittel (Nizza-Klassifikation, Empfehlungsliste des DPMA, einheitliche Klassifikationsdatenbank, TMclass) zu nutzen. Allerdings sollte sie oder er sich nicht alleine auf die dort vorgegebenen Begriffe verlassen, sondern die eigenen Waren und Dienstleistungen konkret schützen. Dabei ist darauf zu achten, die Breite der beanspruchten Waren und Dienstleistungen klug auszubalancieren. Zu breite Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse erhöhen das Kostenrisiko durch Widersprüche und Löschungsanträge. Zu enge Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse ermöglichen eventuell zu wenig Schutz und können zu einem schmerzhaften Zusammenstoß mit dem nachträglichen Erweiterungsverbot führen.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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Formmarke

Die quadratischen Verpackungen von Ritter Sport Schokolade sind das Thema der Beschlüsse I ZB 42/19 und I ZB 43/19 vom 23.06.2020. Sie konkretisieren den “wesentlichen Wert” einer Ware in Verbindung mit einer als Marke benutzten Verpackungsform.

I. Streitgegenstand

Dreidimensionale Formmarken sind für die Ware “Tafelschokolade” für Ritter Sport Schokolade registriert. Sie zeigen jeweils eine Verpackung mit einer quadratischen Grundfläche. Die Klägerin bestritt die Markenfähigkeit dieser Formen und beantragte die Löschung der Marken.

II.  Verfahrensverlauf

Das Bundespatentgericht (BPatG) hatte zunächst die Löschung der Marken angeordnet. Die Zeichen seien nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen, weil sie ausschließlich aus einer Form bestünden, die durch die Art der Ware selbst bedingt sei.

Auf die Beschwerden der Markeninhaberin hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die Entscheidungen des BPatG aufgehoben und die Verfahren an dieses zurückverwiesen. Dabei hatte BGH das Schutzhindernis des § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ausgeschlossen. Allerdings sollte das BPatG prüfen, ob das Schutzhindernis des § 3 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG bestehe. Im Markengesetz lautet § 3 Abs. 2:

"Dem Markenschutz nicht zugänglich sind Zeichen, die ausschließlich aus Formen oder anderen charakteristischen Merkmalen bestehen,
1. die durch die Art der Ware selbst bedingt sind,
2. die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sind oder
3. die der Ware einen wesentlichen Wert verleihen."

Diesbezüglich war das BPatG nunmehr der Auffassung, dieses Schutzhindernis liege nicht vor und die Löschungsanträge wurden abgewiesen. Dagegen hatte sich die Antragstellerin beim BGH beschwert.

III. Der wesentliche Wert einer Ware

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Zurückweisung der Rechtsbeschwerden ausgeführt, was den wesentlichen Wert einer Ware ausmacht. Die quadratischen Grundflächen der Verpackungen verleihen der beanstandeten Tafelschokolade jedenfalls keinen wesentlichen Wert. Obwohl sie das wesentliche Merkmal der Verpackungen darstellen.

Maßgeblich zur Beurteilung dieser Frage können für Waren der Kategorie “Tafelschokolade” die folgenden Kriterien sein:

- der künstlerische Wert der Verpackungsform;
- der Unterschied der Verpackungsform zu anderen auf dem Markt befindlichen Formen;
- ein eventueller Preisunterschied gegenüber ähnlichen Produkten;
- eine auf die Verpackung bezogene Vermarktungsstrategie.

Das Schutzhindernis eines ‘wesentlichen Wertes’ liegt dann vor, wenn aus objektiven Gesichtspunkten hervorgeht, dass die Kaufentscheidung der Verbraucher in hohem Maß durch ein entsprechendes Merkmal des Zeichens bestimmt wird – wie im vorliegenden Fall die quadratische Verpackung.

Nach der Auswertung dieser Kriterien und auf Basis der Feststellungen des BPatG kam der BGH nicht zu dem Ergebnis, dass die quadratischen Verpackungen den Ritter Sport Tafelschokoladen einen wesentlichen Wert verleihen. Die Kaufentscheidung werde durch die quadratische Verpackung nicht in hohem Maße beeinflusst. Die quadratische Verpackung weise keinen besonderen künstlerischen Wert auf. Auch bedeutende Preisunterschiede ließen sich nicht feststellen. Zwar existiere eine auf die Verpackung ausgerichtete Vermarktungsstrategie “Quadratisch. Praktisch. Gut.”. Allerdings würden dadurch vielmehr Herkunfts- und Qualitätsinformationen vermittelt. Also genau das, was eine Marke auch vermitteln soll. Von einem wesentlichen Wert gemäß der o.g. Regelung und den o.g. Kriterien könne jedoch nicht ausgegangen werden.

IV. Fazit

Der BGH zeigt eine methodische und differenzierte Bewertung der Markenfähigkeit einer Formmarke gemäß § 3 MarkenG. Dabei wird klar inwieweit der wesentlichem Wert einer Ware sich von deren wesentlichen Merkmal, welches für einen Markenschutz verwendet wird, unterscheidet. Eine Verpackung kann eine Marke einer Ware sein, wenn sie der Ware keinen wesentlichen Wert verleiht, aber dennoch als Herkunftshinweis dient.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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BGH rotierendes Menü

Die Entscheidung „rotierendes Menü“ des BGH (14.01.2020, X ZR 144/17) zum Thema graphische Benutzeroberflächen konkretisiert, was der Fachmann als offenbart mitliest und welche Merkmale aufgrund von Patentierbarkeitsausschlüssen bei der Analyse der erfinderischen Tätigkeit außer Acht gelassen werden müssen.

I. Streitpatent und Hauptanspruch

Das streitgegenständliche europäische Patent EP 888 687 schützte ein TV-Menü zum Auswählen verschiedener Menüpunkte, die entlang einer gekrümmten Bahn angeordnet sind. Die Bahn wird dabei nur unvollständig auf einem Bildschirm gezeigt und setzt sich gedacht außerhalb des Bildschirms fort. Fig. 2 veranschaulicht eine Implementierungsform:

Der vom BGH gegliederte und übersetzte Hauptanspruch lautete:

1. Die elektronische Vorrichtung umfasst
1.1 wenigstens eine Anzeige und
1.2 einen Controller.
2. Der Controller ist dazu vorgesehen, dafür zu sorgen, dass die Anzeige ein Menü darstellt.
3. Das Menü
3.1 ist rotierend,
3.2 umfasst eine Anzahl von Menüpunkten und
3.3 ist auf der Anzeige außerhalb der Mitte vorgesehen,
3.3.1 so dass wenigstens ein Menüpunkt zu jeder Zeit von der Anzeige weggedreht werden kann,
3.3.2 wodurch ohne Änderung des Formats eine beliebige Anzahl von 
Punkten zu dem Menü hinzugefügt werden kann.

II. Gegenstand von Hauptanspruch mitgelesen und nahegelegt

Aus dem Stand-der-Technik zitierte die Nichtigkeitsklägerin die europäische Patentanmeldung EP 0 626 635. Darin wird eine graphische Benutzerschnittstelle mit nur einem teilweise dargestellten Objektrad zur Auswahl verschiedener Menüfelder offenbart:

Unbestritten waren dadurch die Merkmale 1, 1.1, 3.2, 3.3, 3.3.1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Und auch ein Controller (Merkmal 2) zum Steuern eines rotierenden Menüs (Merkmal 3.1) war für den BGH eindeutig und unmittelbar offenbart.

Streitig war der Stand-der-Technik zum Merkmal 3.3.2.

Der BGH entnahm der Entgegenhaltung jedoch eindeutig und unmittelbar, dass das mittels eines Objektrades dargestellte Menü um eine beliebige Anzahl von Menüpunkten erweitert werden kann. Das ist überraschend, da – wie der BGH selbst einräumt – dieses Merkmal nicht explizit in der Entgegenhaltung erwähnt ist. Dennoch sah er dieses Merkmal in den dort offenbarten technischen Informationen so deutlich, dass es von einem Fachmann mitgelesen wird.

Auf dieser Basis hielt der BGH darüber hinaus den in Merkmal 3.3.2 zusätzlich definierten Verzicht auf eine Formatänderung beim Hinzufügen von Menüpunkten für nahegelegt. Wie diese Erweiterung des oben dargestellten Menüs auf die in der Entgegenhaltung erwähnten bis zu 500 Menüpunkte ohne Formatänderung gelingen sollte, wurde in der Urteilsbegründung nicht erklärt. Gänzlich unverständlich ist dem Autor diese Argumentation dennoch nicht, insbesondere wenn nur wenige Menüpunkte hinzugefügt werden.

III. Konkretisierende Merkmale für erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen

Im ihrem Hilfsantrag beanspruchte die Patentinhaberin zusätzlich die Merkmale:

4. Das Menü wird mit einer Perspektive wiedergegeben,
4.1  in der es wie in einer sichtbaren Ebene erscheint, die sich nicht 
parallel zu dem Schirm erstreckt,
4.2  wobei die Perspektive durch Änderung entweder der Form oder der 
Größe wenigstens einer der Menüpunkte erreicht wird.

In diesen Merkmalen sah der BGH jedoch keinen Beitrag zur Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln. Denn das Menü in einer bestimmten Perspektive wiederzugeben (Merkmal 4.1) und dabei die graphische Gestaltung eines Menüpunktes zu ändern (Merkmal 4.2), beträfe allein die graphische Darstellung der zur Verfügung gestellten Information. Damit wäre aber alleine eine erhöhte Benutzerfeundlichkeit ohne weitere technische Überlegungen erreicht.

IV. Fazit

Der BGH bestätigt damit seine bisherigen Entscheidungen zur Patentierbarkeit graphischer Benutzeroberflächen. Merkmale einer GUI ohne technischen Beitrag sind bei der Analyse zur erfinderischen Tätigkeit außer Acht zu lassen (GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topographischer Information). Wenn graphische Elemente allein dem Zweck dienen Informationen leichter verständlich und besser zugänglich darzustellen, ohne physische Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung von Informationen zu berücksichtigen, bleiben diese ohne technischen Zweck und damit für die erfinderische Tätigkeit bedeutungslos (GRUR 2015, 660 – Bildstrom; GRUR 2015, Entsperrbild).

Des Weiteren liefert der BGH mit der als offenbart erachteten Menüpunkterweiterung ein Beispiel dazu, was der Fachmann mitlesen kann. Diese Rechtsfigur wurde vor allem durch die Entscheidungen “Olanzapin” (GRUR 2009, 382) und “Proteintrennung” (GRUR 2014, 758) zur Einbeziehung von Selbstverständlichem in eine Offenbarung bekannt. Ein solches Mitlesen umfasst – zumindest wie der Autor die aktuelle Rechtsprechung versteht – nicht allein den ein oder anderen nicht explizit erwähnten Fachbegriff oder einen nicht erwähnten, aber standardmäßigen Verfahrensschritt. Vielmehr können auch ganze Implementierungsformen mitgelesen werden, sofern diese sich einem vorgebildeten Leser beim Studieren einer Offenbarung aufdrängen.

V. Leitsatz

Die Anweisung, für ein Auswahlmenü auf einem Bildschirm eine Darstellungsart zu wählen, die lediglich dem Zweck dient, die angezeigten Menüpunkte und den Umstand, dass möglicherweise noch weitere Punkte verfügbar sind, besonders anschaulich zu präsentieren, betrifft kein technisches Lösungsmittel und ist deshalb bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. (Bestätigung von BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – X ZR 37/13, GRUR 2015, 660 – Bildstrom; Urteil vom 25. August 2015 – X ZR 110/13, GRUR 2015, 1184 Entsperrbild).

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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EU patent

Die rechtliche Basis zur Erteilung und Durchsetzung des Einheitspatents besteht aus zwei europäischen Verordnungen und einem multinationalen Übereinkommen, welches jedoch allein EU-Mitgliedstaaten offensteht. Damit soll ein einheitlicher Patentschutz ermöglicht werden, der sich auf die teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten erstreckt. Die Konstruktion scheint zweckmäßig, aber nicht unproblematisch.

Sekundärrechtliche Basis durch zwei Verordnungen

Die Verordnung Nr. 1257/2012 zur Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (EPat-VO) und die Verordnung Nr. 1260/2012 über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen (Übers-VO) bilden die sekundärrechtliche Basis für das Europäische Patentsystem. Die Verordnungen wurden im Rahmen der Ermächtigung Art. 118 EUV und der verstärkten Zusammenarbeit Art. 20 EUV erlassen. Europäische Verordnungen gelten durchgreifend, d.h. ohne vorherige Umsetzung in nationales Recht.

Die EPat-VO kann analog zur Unionsmarkenverordnung oder zur Verordnung zum Gemeinschaftsgeschmacksmuster angesehen werden. Die EPat-VO nutzt die im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) angelegte Ermächtigungsgrundlage für einheitliche Patente Art. 142 EPÜ. EU-Einheitspatente können somit vom Europäischen Patentamt erteilt werden und haben gemäß der EPat-VO in allen teilnehmenden EU-Staaten Gültigkeit. Im Unterschied zu EPÜ-Patenten stellt das EU-Einheitspatent kein Bündelpatent dar, das nach Erteilung in nationale Patente zerfällt. Obwohl das EPÜ ein völkerrechtlicher Vertrag ist und kein Gemeinschaftsrecht, sieht der EuGH die Einbindung des EPÜ zur Erteilung unproblematisch (EuGH, Urt. v. 11.05.05.2015 – C146/13, Spanien/Parlament und Rat). Darüberhinaus enthält die EPat-VO Regelungen zur einheitlichen Wirkung, zur Erschöpfung, zu Registerpflichten und zur Lizenzbereitschaft sowie einige kollisionsrechtliche Regelungen. Die EPat-VO ist dementsprechend schlank.

Die Einigung über den Mechanismus der verstärkten Zusammenarbeit erforderte keine Einstimmigkeit. Dies war auch nicht zu erwarten, denn Italien und Spanien wollten der vorgeschlagenen Sprachenregelung nicht zustimmen. Aktuell zählt man unter den 27 EU-Mitgliedstaaten 24 Amtssprachen. Dies verdeutlicht die schwierige Situation, welche einer solchen Einigung zugrunde liegt. Sprachregelungen zählten bereits bei früheren Versuchen für einen einheitlichen europäischen Patentschutz zu den größten Hürden. Dementsprechend kann der Erlass, insbesondere der Übers-VO, durchaus als Erfolg gewertet werden. Kritisiert wurde jedoch vielfach der intransparente Rechtsetzungsprozess.

Das völkerrechtliche Übereinkommen zum einheitlichen Patentgericht

Neben der EPat-VO und der Übers-VO ist die dritte und inhaltsreichste Komponente das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (Unified Patent Court Agreement, UPCA). Das UPCA enthält umfangreiche materielle und prozessuale Regelungen, insbesondere zu Patentverletzung und zu ergänzenden Schutzzertifikaten. Das UPCA ist als völkerrechtlicher Vertrag (und nicht als EU-Sekundärrecht) gestaltet, steht aber allein EU-Mitgliedstaaten zur Ratifikation und zum Beitritt offen.

Durch das UPCA wird das eigenständige einheitliche Patentgericht (Unified Patent Court, UPC) mit zwei Instanzen errichtet. Die erste Instanz verfügt über eine Zentralkammer in Paris mit Abteilungen in München und London sowie über lokale und regionale Kammern. Das Berufungsgericht hat seinen Sitz in Luxemburg.

Sachlich zuständig ist der UPC insbesondere für Klagen in Verbindung mit der Durchsetzung oder Nichtigerklärung des Einheitspatents. Darüber hinaus sollen am UPC auch Mediations- und Schiedsverfahren durchgeführt werden. Trotz der Implementierung über ein völkerrechtliches Abkommen, ist der UPC ein Gericht im Rechtssystem der EU. Fragen zum EU-Recht müssen dem EuGH zur Auslegung vorgelegt werden. Da die Regelungen im UPCA jedoch selbst kein EU-Recht darstellen, sind diese allein durch den UPC zu entscheiden und ggf. fortzubilden.

Nicht vereinheitlicht wurden Übertragung eines EU-Patents, dessen Zwangslizensierung sowie dessen Behandlung im Zuge eines Vollstreckungs- oder Insolvenzverfahrens.

Auch am UPCA gab es Kritik wegen mangelnder Transparenz des Rechtsetzungsverfahrens. Materielle Kritik hervorgerufen haben insbesondere die komplexen Zuständigkeitsregeln und die Möglichkeit in jedem EU-Mitgliedstaat kompetenzunabhängig Lokalkammern einrichten zu können, die über die Macht verfügen ein EU-Patent erstinstanzlich vernichten können.

Umgehung des EuGH

Durch die Architektur des EU-Einheitspatents und des UPC sind Entscheidungen zur Erteilung sowie zur Durchsetzung und Nichtigkeit nicht durch den EuGH überprüfbar. Dies war insbesondere eine wichtige Forderung von Patentanwälten. Zum einen dauern Entscheidungen des EuGH oft sehr lange. Zum anderen war die fehlende patentrechtliche und technische Spezialisierung der EuGH-Richter ein Grund dafür, den EuGH zu umgehen und durch spezialisierte Institutionen zu ersetzen: Für die Überprüfung von Erteilungsentscheidungen sind die Beschwerdekammern des EPA zuständig. Für die Überprüfung von Entscheidung zu Verletzung und Nichtigkeit ist das UPC zuständig. Die Umgehung des EuGH basiert auf guten Gründen. Dennoch ist diese Vorgehensweise nicht ideal und ebensowenig alternativlos, wie die europäischen Schutzsysteme für Marken und Designs zeigen. Auch die Errichtung einer spezialisierten Patentkammer beim EuGH wäre prinzipiell möglich.

Zusammenfassend bietet das System aus Einheitspatent und Einheitsgericht auf Basis der EPat-VO, der Übers-VO und des UPCA umfassende Funktionen für einen einheitlichen, grenzüberschreitenden europäischen Patentschutz. Dabei baut das System auf das bewährte EPÜ-System zur Erteilung Europäischer Bündelpatente auf und ist eng an die bewährten Zuständigkeitsregeln der Brüssel-Ia-VO gekoppelt. Neuland wird insbesondere in der Operationalisierung des Gerichtssystems liegen, welches sich sowohl personell, organisatorisch und rechtskulturell erst etablieren muss. Die geringe Transparenz und die mangels vollständiger Gemeinsamkeit erforderliche Verabschiedung im Wege der verstärkten Zusammenarbeit könnten für eine endgültige Ratifizierung eine Hypothek darstellen. Ob diese rechtliche Basis zu einem Zuhause für ein einheitliches EU-Patent ausgebaut werden kann, wird von zukünftigen Entscheidungen abhängen.

 

Autor: Dr. Martin Kuschel

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