Softwarepatente bewegen die Welt. Oft umstritten sind sie dennoch überdurchschnittlich präsent, allein weil viele neue Technologien in irgendeinem Aspekt auf Software basieren
Der Ursprung der Rechtsprechung zu Softwarepatenten liegt in der Entscheidung “Dispositionprogramm” von 1976. In einer ersten Phase näherte sich der BGH nach verschiedenen Experimenten einer konsistenten Methodik zur Prüfung, ob eine Software-basierte Erfindung technisch ist und damit dem Patentschutz zugänglich. Eine Analyse dieser ersten BGH-Rechtsprechung bis zur Änderung des Patentgesetzes im Jahr 2007 finden Sie in einem anderen Blogbeitrag: Teil 1, Teil 2, Teil 3.
Der hier vorliegende Beitrag schließt nahtlos an den Blogbeitrag zur frühen Rechtsprechung an. Analysiert wird die BGH-Rechtsprechung nach der Gesetzesänderung 2007. Der Anfang des betrachteten Zeitraumes fällt lose mit der Entscheidung G 03/09 zusammen, die im Jahr 2010 erging, die erste Entscheidung der großen Beschwerdekammer zu Softwarepatenten. Den Abschluss bildet das Jahr 2021, in dem die Entscheidung G 1/19 erging, die zweite Entscheidung der großen Beschwerdekammer, die im Wesentlichen Softwarepatente betrifft.
Teil 1:
1. Steuerungsverfahren für Untersuchungsmodalitäten, 2009
2. Dynamische Dokumentengenerierung, 2010
3. Wiedergabe topographischer Information, 2010
4. Webseitenanzeige, 2011
Teil 2 (geplant):
6. Routenplanung, 2012
7. Fahrzeugnavigationssysten, 2013
8. Entsperrbild, 2015
9. Bildstrom, 2015
Teil 3 (geplant):
10. Flugzeugzustand, 2015
11. Technizität elektronischer Datenverarbeitung, 2016
12. Rezeptortyrosinkinase II, 2016
13. Rotierendes Menü, 2020
1. Die BGH-Entscheidung “Steuerungsverfahren für Untersuchungsmodalitäten”, 2009
1.1 Leitsätze
Jedenfalls dann, wenn das sich einer Datenverarbeitungsanlage bedienende Verfahren in den Ablauf einer technischen Einrichtung eingebettet ist (wie etwa bei der Einstellung der Bildauflösung eines Computertomografen), entscheidet über die Patentierung nicht das Ergebnis einer Gewichtung technischer und nichttechnischer Elemente. Maßgebend ist vielmehr, ob die Lehre bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Lösung eines über die Datenverarbeitung hinausgehenden konkreten technischen Problems dient.
1.2 Streitgegenständlicher Anspruch
Hauptantrag
Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten, dadurch gekennzeichnet, dass | |
a) | ein in einer Datenverarbeitungseinrichtung abgelegtes Programmmittel anhand von eingegebenen symptomspezifischen und/oder diagnosespezifischen Informationen unter Verwendung einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank eine oder mehrere zur Untersuchung des Patienten durchzuführende Untersuchungsmodalitäten auswählt, die an eine Wiedergabeeinrichtung ausgegeben werden, |
b) | wobei zu einer bestimmten Untersuchungsmodalität ein oder mehrere die Untersuchung definierende Untersuchungs- oder Messprotokolle durch die Datenbank ausgewählt und ausgegeben werden und |
c) | wobei die Untersuchungs- oder Messprotokolle von der Datenverarbeitungseinrichtung an eine Datenverarbeitungs- und/oder Steuerungseinrichtung einer ausgewählten Untersuchungsmodalität, die zur Untersuchung des Patienten verwendet wird, übertragen werden, |
d) | wo sie gegebenenfalls bei Bedarf wiedergegeben und/oder zur Steuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden”. |
Hilfsantrag
e | „… wo sie wiedergegeben und zur Steuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden”. |
1.3 Streitverlauf
Das BPatG hatte in einer Anmelderbeschwerde den Hauptantrag (Hilfsantrag 2) und den Hilfsantrag (Hilfsantrag 3) zurückgewiesen, mit der Begründung das angemeldete Verfahren fiele unter den Patentierbarkeitsausschluss §1 (3), (4) PatG.
Zunächst läge der anspruchsgemäßen Anweisung für jede Untersuchungsmodalität Untersuchung- oder Messprotokolle auszuwählen und auszugeben kein konkretes technisches Problem zugrunde.
Ein konkretes technisches Problem läge zwar bzgl. der Übertragung der ausgewählten Protokolle an die Untersuchungsmodalitäten vor. Allerdings gereiche dieser Aspekt der Anmeldung nicht zur Patentfähigkeit. Dabei gab das BPatG zu, zwischen den technischen und den nicht-technischen Merkmalen eine Gesamtbetrachtung angestellt zu haben. Der technische Teil sei nur eine “ergänzende Maßnahme von untergeordneter Bedeutung.”
Der BGH stimmte dieser Auffassung, die auf der bereits seit der Entscheidung “Tauchcomputer” aus dem Jahr 1992 (sic!) aufgegebenen Kerntheorie basierte, nicht zu.
Der Gegenstand der Anmeldung weise Technizität gemäß § 1 (1) PatG auf,
“weil er der Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten mittels eines technischen Geräts dient.”
“Unerheblich für das Technizitätserfordernis ist, ob der Gegenstand einer Anmeldung, wie es nach den getroffenen Feststellungen hier der Fall ist, neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufweist.”
“Ob Kombinationen von technischen und nichttechnischen bzw. vom Patentschutz ausgeschlossenen Merkmalen im Einzelfall patentfähig sind, hängt insoweit – abgesehen von etwa einschlägigen Ausschlusstatbeständen des § 1 Abs. 3 PatG – allein davon ab, ob sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.”
Vorliegend werde ein konkretes technisches Problem gelöst:
“Die programmgesteuerte Einstellung solcher Geräteparameter führt, an die Stelle der manuellen Einstellung durch das Bedienungspersonal tretend, einen technischen Erfolg herbei, der einem Anwendungsprogramm zur Überwachung und Regelung des Ablaufs einer technischen Einrichtung (Sen. Beschl. v. 13.05.1980 – X ZB 19/78 – Antiblockiersystem) oder zur Aufarbeitung von Messergebnissen (Sen., BGHZ 117, 144 – Tauchcomputer) vergleichbar ist.”
Da die Schutzfähigkeit der beanspruchten Erfindung keine Frage der Technizität mehr war, wurde zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an das BPatG zurückverwiesen.
1.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH
Um den Patentierbarkeitsausschluss § 1 (3) Nr. 3, (4) PatG für Software zu überkommen muss über die Technizität hinaus eine Lösung eines konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln beansprucht sein.
“Nicht der Einsatz eines Computerprogramms selbst, sondern die Lösung eines solchen Problems mit Hilfe eines (programmierten) Computers kann vor dem Hintergrund des Patentierungsverbotes eine Patentfähigkeit zur Folge haben.”
“Das hat zur Folge, dass bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit diese Problemlösung in den Blick zu nehmen ist. Außerhalb der Technik liegende Anweisungen genügen in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht; sie sind nur in dem Umfang von Bedeutung, in dem sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nehmen (Sen., BGHZ 149, 68 – Suche fehlerhafter Zeichenketten; 159, 197 – elektronischer Zahlungsverkehr).”
1.5 Einordnung
Die sich dem BGH hier gestellte Konstellation zeigte, wie schwer es offensichtlich für das BPatG war von der Kerntheorie Abstand zu nehmen. Man könnte mutmaßen, das gegenüber einer hohen Arbeitslast (von DPMA oder BPatG) Rückweisungen auf Basis mangelnder Technizität oder auf Basis des Ausschlusskriteriums § 1 (3), (4) gelegen käme. Allein weil dafür nicht umfangreich Stand der Technik bewertet werden musste.
Der BGH mahnte jedoch zur Anwendung der aktuell gültigen Bewertungsmethode zu Technizität und dem Ausschlusskriterium, wobei auf die Lösung eines konkreten, technischen Problems mit technischen Mitteln zu achten ist. Dafür konnte er nunmehr auf eine gefestigte Rechtssprechung verweisen.
2. Die BGH-Entscheidung “Dynamische Dokumentengenerierung”, 2010
2.1 Leitsätze
1. Ein Verfahren, das das unmittelbare Zusammenwirken der Elemente eines Datenverarbeitungssystems (hier: eines Servers mit einem Client zur dynamischen Generierungstrukturierter Dokumente) betrifft, ist stets technischer Natur, ohne dass es darauf ankäme, ob es in der Ausgestaltung, in der es zum Patent angemeldet wird, durch technische Anweisungen geprägt ist.
2. Ein solches Verfahren ist nicht als Programm für Datenverarbeitungsanlagen vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn es ein konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln löst. Eine Lösung mit technischen Mitteln liegt nicht nur dann vor, wenn Systemkomponenten modifiziert oder in neuartiger Weise adressiert werden. Es reicht vielmehr aus, wenn der Ablauf eines Datenverarbeitungsprogramms, das zur Lösung des Problems eingesetzt wird, durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird oder wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt.
2.2 Streitgegenständlicher Anspruch
a) | 1. Verfahren zur dynamischen Generierung strukturierter Dokumente (SD) an mindestens einem mit einem Client (CL) kommunizierenden, in seinen Ressourcen limitierten, mikrocontrollerbasierten Leitrechner (SRV), umfassend die Schritte: |
b) | Empfang von Anforderungsdaten (REQ) des Clients (CL) am Leitrechner (SRV), |
c) | Extraktion von Anfrageparametern aus den Anforderungsdaten (REQ), |
d) | Abbildung der Anfrageparameter durch ein Kontrollmodul (CRT) auf einen Befehlssatz eines softwarearchitekturspezifischen Schnittstellenmoduls (IF) des Leitrechners (SRV), |
e) | dynamische Generierung des strukturierten Dokuments (SD) unter Verwendung mindestens eines Vorlagedokuments (TD) mit enthaltenen Aufrufen von Dienstnehmern (JB), wobei Anweisungen der Dienstnehmer (JB) durch das Schnittstellenmodul (IF) extrahiert und auf einen korrespondierenden, auf einen Ausschnitt der Dienstnehmer beschränkten Befehlssatz des Schnittstellenmoduls (IF) abgebildet werden, |
f) | welche unter Hinzuziehung der abgebildeten Anfrageparameter in einer Laufzeitumgebung des Kontrollmoduls (CRT) ausgeführt werden und nach erfolgter Ausführung Inhalte und/oder Struktur des strukturierten Dokuments (SD) definieren, |
g) | Übermittlung des dynamisch generierten strukturierten Dokuments (SD) an den Client (CL). |
A) | „10. System zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorstehenden Ansprüche”. |
2.3 Streitverlauf
Das BPatG hat die Patentanmeldung umfassend die beiden o.g. Ansprüche mangels erfinderischen Tätigkeit zurückgewiesen und damit das DPMA bestätigt.
Dabei argumentierte es, dass die Gegenstände der o.g. Ansprüche nicht auf technischem Gebiet lägen:
Zwar sei der Gegenstand von Anspruch 1
“wohl nicht als Programm für eine Datenverarbeitungsanlage „als solches” vom Patentschutz ausgeschlossen”.
“Zwar möge die beanspruchte Lehre der Lösung eines (grundsätzlich) technischen Problems dienen, soweit sie versuche, durch eine bestimmte Weise der Erzeugung von Dokumenten die unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Leitrechnern zu kompensieren. Dies werde aber nicht durch den Einsatz technischer Mittel bewirkt, sondern beruhe auf konzeptionellen Überlegungen.“
“Um zu dem Vorschlag der Patentanmeldung zu gelangen, seien nach herkömmlichem Technikverständnis auch keine konkreten technischen Kenntnisse erforderlich, da eine bestimmte interne Arbeitsweise des Leitrechners als gegeben angenommen werde.”
“Hinsichtlich des Patentanspruchs 10 ergebe sich keine andere Bewertung.“
Der BGH erkannte in dieser Argumentation nicht die von ihm gesetzten methodischen Vorgaben zur Prüfung von Technizität und dem Ausschlusskriterium gemäß § 1 (3) (4) PatG. Zudem erkannte er patentierbare technische Lösungen:
“Das Patentgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Erfindung ein technisches Problem zu Grunde liegt, da es durch sie ermöglicht werde, vom Client angeforderte strukturierte Dokumente auch auf Leitrechnern dynamisch zu generieren, die nicht über die für den Einsatz einer eher anspruchsvollen Laufzeitumgebung wie beispielsweise einer Java Virtual Machine erforderliche oder wünschenswerte Rechenkapazität verfügen. Damit ist mit der besseren Ausnutzung begrenzter Ressourcen eines Servers bei der dynamischen Generierung strukturierter Dokumente die Funktionalität eines Kommunikationssystems betroffen und infolgedessen ein konkretes technisches Problem und nicht etwa ein außerhalb der Technik liegendes Ziel (vgl. hierzu BGHZ 159, 197 [206] = GRUR 2004, 667 – Elektronischer Zahlungsverkehr; BGH, GRUR 2005, 141 [142] – Anbieten interaktiver Hilfe; GRUR 2005, 143 [144] – Rentabilitätsermittlung; Senat, GRUR 2010, 44 – Dreinahtschlauchfolienbeutel) angesprochen.“
Der BGH meinte vorliegend bestünde die Lösung darin,
“ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt. (Anmerkung des Autors: Alternative 4, siehe 2.4)”
“Sie richtet sich deshalb nicht an den Programmierer, sondern an den Systemdesigner, der die Gesamtarchitektur des Datenverarbeitungssystems im Auge hat und die unterschiedlichen Eigenschaften und die Leistungsfähigkeit von Hard- und Softwarekomponenten berücksichtigt.”
“Dass die Lehre nicht auf konkrete Maßnahmen zur Abbildung der Anfrageparameter auf einen begrenzten Befehlssatz beschränkt, sondern eher abstrakt formuliert ist, wird bei der noch vorzunehmenden Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu berücksichtigen sein.“
Auf den Abstraktionsgrad der beanspruchten technischen Mittel komme es lauf BGH zudem nur im Hinblick auf den Stand der Technik an.
“Dass die Lehre nicht auf konkrete Maßnahmen zur Abbildung der Anfrageparameter auf einen begrenzten Befehlssatz beschränkt, sondern eher abstrakt formuliert ist, wird bei der noch vorzunehmenden Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu berücksichtigen sein.“
Damit stellte der BGH fest, dass eine Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln vorlag und verwies die Sache zurück an das BPatG.
2.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH
Der BGH rekapitulierte die mittlerweile gefestigte Rechtssprechung zum Thema:
“Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH muss eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch ein Datenverarbeitungsprogramm verwirklichtes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, die die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben (BGHZ 149, 68 [74] = GRUR 2002, 143 – Suche fehlerhafter Zeichenketten; BGHZ 159, 197 [204] = GRUR 2004, 667 – Elektronischer Zahlungsverkehr; BGHZ 166, 305 Rdnr. 17 = GRUR 2006, 663 – Vorausbezahlte Telefongespräche; BGH, GRUR 2009, 479 Rdnr. 11 – Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten).”
“Wegen des Patentierungsausschlusses für Computerprogramme als solche (§ 1 III Nr. 3, IV PatG) vermögen regelmäßig erst solche Anweisungen die Patentfähigkeit eines Verfahrens zu begründen, die eine Problemlösung mit derartigen Mitteln zum Gegenstand haben. Nicht der Einsatz eines Computerprogramms selbst, sondern die Lösung eines technischen Problems mit Hilfe eines (programmierten) Rechners kann vor dem Hintergrund des Patentierungsverbots eine Patentfähigkeit zur Folge haben.”
“Dies hat zur weiteren Folge, dass auch bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit die Lösung des technischen Problems in den Blick zu nehmen ist. Schutzfähig ist eine programmbezogene Lehre nur dann, wenn die Lösung des konkreten technischen Problems neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.”
Des Weiteren konkretisierte der BGH “technische Mittel”, die zur Lösung eines “konkreten technischen Problems” erforderlich waren:
“Ein technisches Mittel zur Lösung eines technischen Problems liegt nicht nur dann vor, wenn Gerätekomponenten modifiziert (Anmerkung des Autors: Alternative 1) oder grundsätzlich abweichend adressiert werden (Anmerkung des Autors: Alternative 2).”
“Es reicht vielmehr aus, wenn der Ablauf eines Datenverarbeitungsprogramms, das zur Lösung des Problems eingesetzt wird, durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird (Anmerkung des Autors: Alternative 3) oder wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt (Anmerkung des Autors: Alternative 4).”
Damit waren vier Alternativen für technische Mittel definiert, durch die – wenn sie ein konkretes technisches Problem lösten, ein technischer Gegenstand vorliegt, der den Patentierbarkeitsausschluss § 1 (3), (4) PatG für Software überwindet.
Diese vier Alternativen lehnen sich an die fünf Alternativen aus der BGH Entscheidung “Suche fehlerhafter Zeichenketten” aus dem Jahr 2001 an.
Weiterhin konkretisierte der BGH endlich auch einmal explizit den erforderlichen Abstraktionsgrad der technischen Mittel, um den Patentierbarkeitsausschluss zu überkommen: Ob ein hinreichend konkret bestimmtes Mittel
2.5 Einordnung
Nach mittlerweile etabliertem Maßstab, musste eine Erfindung ein “konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln” lösen, um als patentierbare Erfindung infrage zu kommen. Die Entscheidung “Dynamische Dokumentengenerierung” stellte dazu mehrere Typen von “technischen Mitteln” vor. Sie war seit der Entscheidung “Suche fehlerhafter Zeichenketten” erst die zweite Entscheidung, die eine derartig konkrete Orientierungsmöglichkeit bot. Diesmal sogar im Leitsatz.
Zudem verfestigte der BGH in dieser Entscheidung die bisherige Rechtssprechung per Leitsatz zu einem zwei-stufigen Prüfungsansatz. In einem ersten Schritt ist das allgemeine Vorliegen von Technizität zu prüfen. In einem zweiten Schritt ist danach die Überwindung des Patentierbarkeitsauschlusses § 1 (3), (4) PatG zu prüfen, die nur mit einer Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln erfolgen kann und für die der Bezug zu einem allgemeinen Computer nicht ausreichend ist.
Jedoch sind die im Leitsatz erwähnten Typen “technischer Mittel” aus dieser Entscheidung weniger konkret als die fünf Typen technischer Erfindungen aus der Entscheidung “Suche fehlerhafter Zeichenketten”. Der Grund dafür führt zu einer zweiten interessanten Information dieser Entscheidung.
Laut BGH ist die Konkretisierung eines technischen Mittels im Anspruch unerheblich für die Frage, ob eine patentierbare technische Erfindung vorliegt (also, ob die Erfindung technisch nach § 1 (1) PatG ist und das Ausschlusskriterium § 1 (3), (4) PatG überwindet). – Die Frage, ob die “technischen Mittel” einer Erfindung hinreichend konkret beansprucht waren, sollte allein eine Frage der erfinderischen Tätigkeit sein, also im Hinblick auf den Stand der Technik zu bewerten sein. Damit war im Wesentlichen einem dritten Prüfungsschritt der Weg bereitet, der in der nächsten Entscheidung konkretisiert werden sollte.
3. Die BGH-Entscheidung “Wiedergabe topographischer Information”, 2010
3.1 Leitsätze
1. Der Gegenstand eines die Wiedergabe topografischer Informationen mittels eines technischen Geräts betreffenden Verfahrens ist nicht nach Art. 52 (2) lit. c oder d EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn zumindest ein Teilaspekt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre ein technisches Problem bewältigt.
2. Bei der Prüfung der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit sind nur diejenigen Anweisungen zu berücksichtigen, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen.
3. Die Auswahl einer für die Navigation eines Fahrzeugs zweckmäßigen (hier: zentralperspektivischen) Darstellung positionsbezogener topografischer Informationen bleibt als nicht-technische Vorgabe für den technischen Fachmann bei der Prüfung eines Verfahrens zur Wiedergabe topografischer Informationen auf erfinderische Tätigkeit außer Betracht.
3.2 Streitgegenständlicher Anspruch
Der vom BGH neu formulierte Anspruch des 1. Hilfsantrags lautete:
(1) | Aus einer Datenstruktur werden topografische Informationen ausgewählt. |
(2) | Die Auswahl erfolgt in Abhängigkeit von der Position (c) eines Fahrzeugs. |
(3) | Die ausgewählten Informationen werden wiedergegeben |
(3.1) | unter dem Einfluss einer Koordinatentransformation, |
(3.2) | perspektivisch und |
(3.3) | durch Zentralprojektion. |
(4) | Die Wiedergabe erfolgt aus einer Betrachtungsposition (k), die |
(4.1) | sich zusammen mit der Position (c) des Fahrzeugs bewegt |
(4.2) | für ein erdgebundenes Fahrzeug oberhalb der Erdoberfläche und oberhalb des Fahrzeugs und hinter diesem liegt. |
(5) | Die Wiedergabe erfolgt mit einer Hauptbetrachtungsrichtung, die einen spitzen Winkel im Hinblick auf die Erdoberfläche einschließt. |
(6) | Die Wiedergabe erfolgt mit einem Raumwinkel (g), der |
(6.1) | die momentane Bewegung des Fahrzeugs berücksichtigt und |
(6.2) | eine simulierte Ist-Position (actual simulated position) des Fahrzeugs enthält. |
3.3 Streitverlauf
Das BPatG hatte das Patent für nichtig erklärt, da dessen Gegenstand nicht technisch sei und deshalb nicht patentfähig.
Die Patentinhaberin hatte daraufhin in der Berufung den Anspruch im Rahmen des o.g. Hilfsantrags und weiteren sechs Hilfsanträgen verteidigt.
Das BPatG hatte angenommen, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 auf eine ergonomisch-technische Lösung beschränkt, um
“topografische Informationen in einer Form wiederzugeben, die für den menschlichen Benutzer leicht aufnehmbar sei. Über eine solche ergonomische Zielsetzung hinaus könnten im Anspruch 1 auch keine anderen Anweisungen erkannt werden, die der Lösung eines konkreten technischen Problems dienten.”
Die Berechnung der perspektivischen Wiedergabe sei im Wesentlichen ein rein mathematisches Problem:
“Die Erzeugung einer perspektivischen Wiedergabe aus den topografischen Daten erfordere eine Koordinatentransformation, der für sich gesehen eine mathematische Problemstellung zu Grunde liege, deren Lösung im Übrigen in der Beschreibung zutreffend als allgemein bekannt bezeichnet werde.”
Auch die anspruchsgemäß erforderliche Erfassung einer Fahrzeugposition ändere daran nichts:
“Dem patentgemäßen Verfahren könne die Lösung einer technischen Problemstellung auch insoweit nicht unterlegt werden, als das Verfahren eine Erfassung der momentanen Position des Fahrzeugs erfordere, weil dieser Umstand zwar als gegeben vorausgesetzt werde, aber nicht Gegenstand des Anspruchs 1 sei.“
Der BGH kam zwar am Ende zum selben Ergebnis, wich aber im Detail erheblich von der Bewertung des BPatG ab.
Der BGH wandte zunächst das etablierte zweistufige Verfahren zur Prüfung von Technizität an. Daher prüfte er zuerst, ob der beanspruchte Gegenstand technisch ist:
“Da unerheblich ist, welche Merkmale den Gegenstand des Anspruchs prägen, ist bei einem Verfahrensanspruch auch nicht entscheidend, ob die Erfindung (prinzipielle) Abwandlungen der Arbeitsweise der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt. Es genügt vielmehr, dass sie die Nutzung solcher Komponenten betrifft und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (vgl. BGH, GRUR 2009, 479 Rdnrn. 8ff. = BlPMZ 2009, 183 – Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten; GRUR 2010, 613 Rdnr. 19 = BlPMZ 2010, 326 – Dynamische Dokumentengenerierung).
Da der Gegenstand des Anspruchs mit einem Computer durchzuführen, war, erkannte der BGH darin eine technische Lehre.
Im zweiten Schritt prüfte er nunmehr das Ausschlusskriterium Art. 52 II lit. c EPÜ (gleichlautend zu § 1 (3) PatG):
“[D]ie beanspruchte Lehre [muss] Anweisungen enthalten, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen. Außerhalb der Technik liegende Anweisungen genügen in diesem Zusammenhang nicht; sie sind nur dann von Bedeutung, wenn sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nehmen.”
“Dafür genügt es jedoch, dass ein Teilaspekt der geschützten Lehre ein technisches Problem bewältigt.“
Der BGH erkannte im Gegenstand des o.g. Anspruchs auch diese Forderung erfüllt:
“Das Verfahren nach dem Streitpatent dient wie ausgeführt der nutzerfreundlicheren Darstellung topografischer Informationen. Zu diesem Zweck werden die topografischen Informationen in Abhängigkeit von der Bewegungsrichtung und der Position des Fahrzeugs ausgewählt und wird die Bildschirmausgabe in einem automatisierten Prozess in bestimmter Weise gestaltet, die die Wiedergabe der topografischen Information mit der Darstellung einer simulierten Ist-Position des Fahrzeugs verbindet. Das Streitpatent betrifft damit eine technische Lösung für ein konkretes technisches Problem.”
Allerdings beurteilte der BGH diesen technischen Gegenstand als nicht erfinderisch. Dabei prüfte er jedes Merkmal auf seinen Beitrag zur Lösung des konkreten technischen Problems.:
“Die Lehre zur Informationswiedergabe besteht, wie der gerichtliche Sachverständige im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, aus den Anweisungen,
- die (bekannte und als solche nicht technische) perspektivische Darstellung eines Kartenausschnitts zu Grunde zu legen (Merkmal 3.2),
- sich dazu der (als mathematische Methode bekannten und als solcher ebenfalls nicht technischen) Koordinatentransformation zu bedienen (Merkmal 3.1),
- hierbei ein – wiederum von der jeweiligen Position des Fahrzeugs abhängiges – Projektionszentrum zu wählen, das oberhalb der Erdoberfläche und oberhalb und hinter dem Fahrzeug liegt (nach hinten versetzte Vogelperspektive) (Merkmalsgruppe 4),
- die Hauptbetrachtungsrichtung so zu bestimmen, dass sie einen spitzen Winkel im Hinblick auf die Erdoberfläche einschließt (Merkmal 5), und
- einen Projektionswinkel zu wählen, der die Orientierung des Bewegungsvektors des Fahrzeugs berücksichtigt und eine simulierte Ist-Position des Fahrzeugs enthält (Merkmalsgruppe 6).
Der technische Beitrag beschränkt sich dabei auf die allgemeinen Anweisungen, die Ist-Position des Fahrzeugs (in beliebiger Weise) zu ermitteln (Merkmal 2), die Darstellung mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung zu bewirken, bei der Wahl des Raumwinkels die momentane Bewegung des Fahrzeugs (Merkmal 6.1) und die simulierte Ist-Position des Fahrzeugs zu berücksichtigen (Merkmal 6.2).
Die übrigen Bestandteile betreffen eine für Navigationszwecke zweckmäßige Projektion der topografischen Daten. Ihre Verwendung in der erfindungsgemäßen Lösung ist daher nicht Teil der technischen Lösung, sondern gehört zu der dieser vorgelagerten Auswahl einer für Navigationszwecke zweckmäßigen kartografischen Darstellung, die dem Fachmann, sofern er sie nicht bereits selbst als zweckmäßig erkennen kann, von dem hierfür zuständigen Fachmann, einem Kartografen, Geografen oder Geodäten, vorgegeben wird (vgl. hierzu BGH, GRUR 2010, 44 = BlPMZ 2010, 187 – Dreinahtschlauchfolienbeutel).”
Entsprechend kam der BGH zu einem technischen Gegenstand, welcher allein die fett-gedruckten Merkmale, des o.g. Anspruchs umfasst.
Daraufhin definierte der BGH das “konkrete technische Problem”:
“[E]in Verfahren für die Wiedergabe eines Teils einer topografischen Karte in einer nutzerfreundlicheren Darstellung zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich daher auf die Aufgabe, die tatsächliche Position eines Fahrzeugs zu ermitteln, ein Verfahren zu automatisieren, das eine den Merkmalen 3 bis 5.1 entsprechende Projektion einer den Merkmalen 1 und 2 entsprechenden topografischen Information ermöglicht und bei dieser Projektion die Bewegungsrichtung und die Position des Fahrzeugs zu berücksichtigen.”
Zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit stellte er Stand der Technik gegenüber, der eine Einrichtung bzw. ein Verfahren zum Anzeigen einer topographischen Information (also einer Karte) als Navigationshilfe in einem Straßenfahrzeug betrifft:
“Die Einrichtung umfasst eine Datenbank für eine gespeicherte topografische Karte sowie Mittel, die auf Daten über den Ort von Straßen anspricht, um eine Kartenanzeige zu produzieren, die Informationen über die Straßen der Karte in Abhängigkeit von einem ausgewählten Maßstabswert anzeigt (S. 1 Abs. 1; S. 3 Abs. 3; Anspruch 1).”
“Aus der Entgegenhaltung geht zudem hervor, dass die Auswahl abhängig von einer Position des Fahrzeugs ausgeführt wird (vgl. S. 8 Abs. 3).
“Die Wiedergabe erfolgt unter dem Einfluss einer Koordinatentransformation, so wie dies beispielsweise in Figur 2–2 gezeigt und in der Beschreibung (S. 12 letzter Abs., übergehend auf S. 13) erläutert wird. Auch wird die Wiedergabe entsprechend einer Betrachtungsposition ausgeführt, die sich zusammen mit der Position des Fahrzeugs bewegt.”
Vor diesem Hintergrund kam er zu dem Ergebnis, dass der auf den technischen Beitrag reduzierte Gegenstand des o.g. Anspruchs nicht auf erfinderischer Tätigkeit basierte:
“Wollte der Fachmann eine nutzerfreundlichere Darstellung der topografischen Informationen zur Verfügung stellen, musste er lediglich in einem hierzu geeigneten Rechner die erfindungsgemäße Projektion implementieren. Dazu bedurfte es – abgesehen von entsprechenden Rechenkapazitäten – nur des Handwerkszeugs eines Programmierers. Etwas anderes macht auch die Bekl. insoweit nicht geltend.”
Die in den weiteren Hilfsanträgen hinzugefügten Merkmale, erachtete der BGH allesamt zur technischen Lösung beitragend, jedoch – wohl prima facie, denn ohne weitere Analyse – ohne erfinderischen Beitrag:
- “die tatsächliche Position des Fahrzeugs auf der Karte wiederzugeben (Hilfsantrag II, Ansprüche 1 und 17),
- die Höhe des scheinbaren Blickpunkts von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs abhängig zu machen (Hilfsantrag III, Ansprüche 1 und 17),
- aus der ausgewählten Information durch eine weitere Auswahloperation wiederzugebende Elemente zu bestimmen (Hilfsantrag IV, Anspruch 1),
- eine Einrichtung vorzusehen, die auch zweite Auswahlmittel umfasst, um an der von den ersten Auswahlmitteln ausgewählten Teilinformationen eine weitere Auswahloperation auszuführen (Hilfsantrag IV, Anspruch 17), und
- eine weitere Auswahl auf dem Abstand zwischen den Elementen und der aktuellen Position des Fahrzeugs beruhen zu lassen (Hilfsantrag V, Ansprüche 1 und 17)”
3.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH
Zunächst bestätigte der BGH auch hier die in der Rechtsprechung entwickelte Methode, den Gegenstand eines Anspruchs daraufhin prüfen, ob dieser konkretes technisches Problems mit technischen Mitteln löst.
“Dafür genügt es jedoch, dass ein Teilaspekt der geschützten Lehre ein technisches Problem bewältigt.”
Die Prüfung auf das Vorliegen eines Ausschlusstatbestands sei zudem nur eine Art Grobsichtung zur Ausfilterung derjenigen Fälle, in denen der Patentanspruch überhaupt keine technische Anweisung enthält, die sinnvollerweise der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu Grunde gelegt werden kann.
Die eigentliche Prüfung des Ausschlusstatbestandes habe im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu erfolgen:
“Das vom Gesetzgeber mit den Ausschlusstatbeständen verfolgte Anliegen wird nach der Rechtsprechung des Senats […] im Wesentlichen dadurch verwirklicht, dass jedenfalls bei der Prüfung einer Erfindung auf erfinderische Tätigkeit nur diejenigen Anweisungen berücksichtigt werden, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (vgl. BGH, GRUR 2010, 613 Rdnrn. 23f. – Dynamische Dokumentengenerierung, m.w. Nachw.).”
Der BGH überprüfte im vorliegenden Fall jedes Anspruchsmerkmal daraufhin, ob es einen Betrag zur zur Lösung eines konkreten technischen Problems löse oder nicht (siehe oben). Dabei identifizierte er die nicht-technischen Beiträge als jene, die ohne Beitrag und zudem von einem Ausschlusstatbestand getroffen waren (hier: mathematische Methode, Wiedergabe von Information).
Damit war der in der Vorgängerentscheidung “Dynamische Dokumentengenerierung” per Leitsatz kommunizierte zwei-stufige Prüfungsansatz zu einem drei-stufigen Prüfungsansatz ausgebaut.
Die nicht-technischen Merkmale können dabei, laut BGH, einem Fachmann bekannt bzw. vorgegeben sein (siehe oben).
Ob ein auf die Merkmale mit technischen Beitrag reduzierter Anspruch schon bereits wegen mangelnder Neuheit fallen könnte ließ der BGH explizit offen:
“Es kann damit dahinstehen, ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I neu ist. Auch einer abschließenden Entscheidung, ob bei der Prüfung der Neuheit die Gesamtheit der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Merkmale nur diejenigen Anweisungen zu berücksichtigen sind, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen oder ob dieser Ansatz allein für die Frage relevant ist, ob die Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, bedarf es daher nicht.”
3.5 Einordnung
In der Entscheidung „Wiedergabe topographischer Information” demonstrierte der BGH exemplarisch, wie der in der Vorgängerentscheidung „Dynamische Dokumentengenerierung” entwickelte zweistufige methodische Ansatz, die Technizitätsprüfung in einer Prüfung der erfinderischen Tätigkeit münden zu lassen, praktiziert werden kann und erweiterte die zweistufigen Prüfungsmethode somit zu einer dreistufigen.
Dabei wurden schnell die bis heute andauernden Schwierigkeiten dieser Bewertungsmethode deutlich. Denn ob ein Anspruchsmerkmal einen technischen Beitrag leistet oder nicht, kann schwierig zu bewerten sein sein. Oft sind Anspruchsmerkmale miteinander durch Abhängigkeiten verbunden. Wo ist die Trennlinie zwischen Technik und Nicht-Technik zu ziehen? Dies kann zu einer subjektiven Bewertung verkümmern. Unterschiedliche Ergebnisse, i.e. Rechtsunsicherheit, ist die Folge. Objektive Kriterien gab der BGH nicht vor.
Auch eine weitere Frage ergab sich aus der vorgestellten Prüfung: Wie war das “konkrete technischen Problem” zu entwickeln, welches nach der allgemein akzeptierten Methode mit “technischen Mitteln” zu lösen war? Der BGH entwickelte das “konkrete technische Problem” auf Basis der Merkmale, die seiner Auffassung nach einen technischen Betrag zum o.g. Anspruch 1 tatsächlich leisteten. Dieses technische Problem nahm er dann her, um den technischen Beitrag der zusätzlichen Merkmale der Hilfsanträge zu prüfen. Diese Vorgehensweise warf offensichtliche Fragen auf. Zum Beispiel die, ob das konkrete technische Problem für hilfsantragsgemäße Merkmale nicht neu formuliert werden müsse. Oder zum Beispiel, ob diese Aufgabe für das technische Problem zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit gleichzusetzen war (dieses wäre jedoch – zumindest nach aktueller Rechtsprechung – ohne Kenntnis der Erfindung zu entwickeln (vgl. BGH “Stereolithographiemaschine” von 2001.
Da der vorliegende Fall den deutschen Teil eines Europäischen Patentes betraf, hatte der BGH auch die Rechtsprechung der EPA Beschwerdekammern zu konsultieren. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass das EPA die gleiche Methode zur Bewertung der Technizität anwendet (“vgl. [Große Beschwerdekammer], Beschl. v. 12. 5. 2010 – G 3/08, GRUR Int 2010, 608 Rdnrn. 10.7.1, 10.8.2, 10.13–10.13.2 – Program for computers“).
(Mit der Prüfung der Anspruchsmerkmale auf einen technischen Beitrag war übrigens nicht die Beitragstheorie wieder ins Leben gerufen. Denn diese war auf den Beitrag einer bestimmten Lösung zum Stand der Technik bezogen.)
4. Die BGH-Entscheidung “Webseitenanzeige”, 2011
4.1 Leitsätze
1. Bei Erfindungen mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der elektronischen Datenverarbeitung ist zunächst zu klären, ob der Gegenstand der Erfindung zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG). Danach ist zu prüfen, ob dieser Gegenstand lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches darstellt und deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der Ausschlusstatbestand greift nicht ein, wenn diese weitere Prüfung ergibt, dass die Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen.
2. Ein Verfahren, das der datenverarbeitungsmäßigen Abarbeitung von Verfahrensschritten in netzwerkmäßig verbundenen technischen Geräten (Server, Clients) dient, weist die für den Patentschutz vorauszusetzende Technizität auch dann auf, wenn diese Geräte nicht ausdrücklich im Patentanspruch genannt sind.
4.2 Streitgegenständlicher Anspruch
1. Verfahren zur Erzeugung einer Darstellung für das Wiederfinden einer bereits von der Startseite (50) eines Informationsanbieters aus aufgerufenen und inzwischen verlassenen Informationsseite, welche über das Internet, ein Intranet oder ein Extranet aufrufbar ist, aufweisend folgende Verfahrensschritte: | |
a) | Registrieren eines Benutzers (5) bei Aufruf der Startseite (50), |
b) | Registrieren der von dem Benutzer unmittelbar und mittelbar von der Startseite (50) aus aufgerufenen Informationsseiten des Informationsanbieters und |
c) | Erzeugung einer anzeigbaren Darstellung (80, 81), aus der die Abfolge der von dem Benutzer (5) aufgerufenen Informationsseiten des Informationsanbieters erkennbar ist. |
4.3 Streitverlauf
Das BPatG hatte den Anspruchsgegenstand nicht als technisch erachtet und das Patent für nichtig erklärt.
Die Patentinhaberin hatte Berufung eingelegt.
Der BGH konnte zwar der Begründung des BPatG nicht folgen, bestätigte jedoch das Ergebnis und wies somit die Berufung zurück.
Lauf BGH erfüllt der beanspruchte Gegenstand zunächst das Technizitätserfordernis gemäß §1 (1) PatG:
“Die erforderliche Technizität ist im Streitfall zu bejahen, weil das unter Schutz gestellte Verfahren der datenverarbeitungsmäßigen Abarbeitung von Verfahrensschritten in netzwerkmäßig verbundenen technischen Geräte dient, wobei die von einem Benutzer bei einem Internetbesuch aufgerufenen Webseiten registriert werden und eine anzeigbare Darstellung dieser Seiten erzeugt wird. Dabei handelt es sich um typische Schritte der Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten mittels technischer Geräte (vgl. auch BGH, a.a.O., Rdnr. 8 – Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten).“
Dafür müssen die beanspruchten Verfahrensschritte zumindest in einem technischen Kontext stehen, ohne dass entsprechende Mittel konkret benannt werden müssen (1. Prüfungsschritt):
“Soweit diese (Server, Clients) nicht im Patentanspruch 1 genannt sind, ist dies unschädlich, weil für den Fachmann, als den das BPatG zutreffend einen Informatiker ansieht, der über praktische Erfahrung in der Programmierung von Browser-Programmen und Benutzerführungen verfügt, offenkundig ist, dass das Verfahren nach Patentanspruch 1 den Einsatz von Computern in Netzwerken bedingt. Es genügt auch bei einem Verfahrensanspruch für die Erfüllung des Technizitätserfordernisses, wenn die Erfindung eine bestimmte Nutzung der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (BGH, a.a.O., Rdnr. 20 m.w.Nw. – Dynamische Dokumentengenerierung).”
Allerdings konnte der BGH beim zweiten Prüfungsschritt keine Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln erkennen:
“Die in Schritt a) des Verfahrens nach Patentanspruch 1 enthaltenen Anweisungen erschöpfen sich in der Erfassung und Speicherung von Informationen über einen Benutzer bei Aufruf einer Startseite. Aus dem Zusammenhang ergibt sich zwar, dass dies mit Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung erfolgt. Die programmiertechnische Umsetzung dieser Anweisung ist aber, abgesehen von deren Lokalisierung auf dem Server, nicht Gegenstand des Patentanspruchs, sondern bleibt dem Fachmann überlassen.“
“Das ist nicht mehr als eine äußerlich-organisatorische Umverlagerung der Datenverarbeitung zwischen mehreren Netzwerkkomponenten.“
“Für die Anweisung in Verfahrensschritt b) gilt das vorstehend Ausgeführte entsprechend.“
“Auch die Anweisungen im Verfahrensschritt c) gehen nicht über die Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten hinaus.”
“Das Verfahren nach Patentanspruch 1 sieht nicht vor, dass die Datenverarbeitung auf technische Gegebenheiten Rücksicht nimmt, die der Datenverarbeitungsanlage selbst anhaften oder die außerhalb der Datenverarbeitungsanlage vorhanden sind. Es erschöpft sich vielmehr darin, Informationen über das Benutzerverhalten zu erfassen, zu speichern und in bestimmter Weise aufzubereiten.
Hierzu sieht es nicht vor, etwa technische Umweltparameter – zu denen z.B. auch körperliche Eigenschaften des Benutzers zählen könnten – durch geeignete Messeinrichtungen zu erfassen oder die Daten in Abhängigkeit von technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage zu verarbeiten.
Die Informationen werden vielmehr allein aus den Eingaben abgeleitet, die der Benutzer an seinem Client-Rechner tätigt. Auch die hilfsweise vorgesehene Übermittlung einer Darstellung an eine Anzeigevorrichtung des Benutzers wird nicht durch technische Parameter, sondern durch eine Anforderung des Benutzers ausgelöst. Damit geht das Verfahren nicht über den Bereich der Datenverarbeitung als solche hinaus.“
Damit unterliegt das beanspruchte Verfahren dem Patentierbarkeitsausschluss gemäß §1 (3), (4) PatG.
4.4 Allgemeingültige Aussagen des BGH
Der BGH bestätigt per Leitsatz die zweistufige Prüfungsmethodik. In einem ersten Schritt ist die zu patentierende Erfindung allgemein auf Technizität zu prüfen:
“Bei Erfindungen mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der elektronischen Datenverarbeitung [ist] zunächst zu klären, ob der Gegenstand der Erfindung auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG), wofür ausreicht, dass ein Teilaspekt der geschützten Lehre ein technisches Problem bewältigt (BGH GRUR 2011, 125 Rdnr. 31 – Wiedergabe topografischer Informationen)“
Dabei ist es unschädlich, wenn durch eine Datenverarbeitung verwendete Server und Clients im Patentanspruch nicht explizit genannt sind:
“Soweit diese (Server, Clients) nicht im Patentanspruch 1 genannt sind, ist dies unschädlich, weil für den Fachmann, als den das BPatG zutreffend einen Informatiker ansieht, der über praktische Erfahrung in der Programmierung von Browser-Programmen und Benutzerführungen verfügt, offenkundig ist, dass das Verfahren nach Patentanspruch 1 den Einsatz von Computern in Netzwerken bedingt.“
Zur Erlangung von Technizität bei einem Verfahrensanspruch ist neben einer expliziten oder impliziten Verwendung technischer Mittel laut BGH auch eine bestimmte Nutzung dieser Mittel ausreichend:
“wenn die Erfindung eine bestimmte Nutzung der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (BGH, a.a.O., Rdnr. 20 m.w.Nw. – Dynamische Dokumentengenerierung).“
Gemäß der zweistufigen Prüfungsmethodik ist im zweiten Schritt zu prüfen, ob die beanspruchte Technologie den Patentierbarkeitsausschluss für Computerprogramme betrifft:
“Ist das [Anm. des Autors: Technizität] zu bejahen, ist auf der Grundlage der Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG weiter zu prüfen, ob er Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen (vgl. BGH GRUR 2009, 479 Rdnr. 8, 11 – Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten; BGHZ 185, 214 [= MMR 2010, 550 m. Anm. Rempe] – Dynamische Dokumentengenerierung).”
Dieses Erfordernis steht nicht im Wiederspruch zum TRIPS-Abkommen:
“Dieses Erfordernis steht nicht in Widerspruch zu Art. 27 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS). Dieses Abkommen garantiert Programmen für Datenverarbeitungsanlagen keinen uneingeschränkten Patentschutz. Einschränkungen des Erfindungsbegriffs wie durch den in § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG formulierten Patentierungsausschluss waren lange vor dem Abschluss des Abkommens in den Rechtsordnungen von Vertragsstaaten bzw. in von diesen geschlossenen Übereinkommen (Art. 52 Abs. 2, 3 EPÜ) verankert und sind durch den Abschluss des TRIPS-Abkommens nicht hinfällig geworden […]“.
Eine Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln muss in den Patentunterlagen gesucht werden:
“Ob ein konkretes technisches Problem durch eine Erfindung mit technischen Mitteln gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet. Dies ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu entwickeln. Die in der Patentschrift angegebene Aufgabe fungiert lediglich als Hilfsmittel bei der Ermittlung des objektiven technischen Problems (vgl. BGH GRUR 2010, 602 Rdnr. 27 – Gelenkanordnung; BGH, a.a.O., Rdnr. 28 – Anbieten interaktiver Hilfe; st. Rspr.)“.
Ein zur Lösung eines konkreten technischen Problems verwendetes Mittel liegt vor, wenn:
“wenn Gerätekomponenten modifiziert oder grds. abweichend adressiert werden.”;
“wenn der Ablauf eines zur Problemlösung eingesetzten Datenverarbeitungsprogramms durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird”;
oder
“wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt (BGH, a.a.O., Rdnr. 27 – Dynamische Dokumentengenerierung)”.
Letzteres kann durch eine Modifikation von Umgebungsparametern erfolgen:
“Hierzu sieht es nicht vor, etwa technische Umweltparameter – zu denen z.B. auch körperliche Eigenschaften des Benutzers zählen könnten – durch geeignete Messeinrichtungen zu erfassen oder die Daten in Abhängigkeit von technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage zu verarbeiten.”
Keine Lösung in diesem Sinn liegt vor, wenn allein eine normale Datenverarbeitung erfolgt:
Das ist nicht mehr als eine äußerlich-organisatorische Umverlagerung der Datenverarbeitung zwischen mehreren Netzwerkkomponenten. Selbst wenn diese mittelbar ermöglichen sollte, einfacher ausgestattete Computer einzusetzen, wäre darin nur eine Maßnahme der Datenverarbeitung zu sehen und nicht die Lösung eines konkreten technischen Problems.
4.5 Einordnung
Mit der Entscheidung “Webseitenanzeige” verfestigte der BGH seine Rechtsprechung zur Technizität und zum Patentierbarkeitsausschluss für software-basierte Erfindungen, die er mit der Entscheidung “Suche fehlerhaften Zeichenketten” im Jahr 2001 eingeführte. Dabei wurde die in der Entscheidung “dynamische Dokumentengenerierung” (2010) eingeführte zweistufige Prüfungsmethodik, die in der Entscheidung “Wiedergabe topographischer Information” (2010) zu einer dreistufigen Prüfungsmethodik ausgebaut wurde, bestätigt.
Er ergänzte, dass Merkmale zu Datenverarbeitungsanlagen auch aus dem für den Fachmann verständlichen Kontext hervorgehen dürfen und nicht explizit benannt werden müssen, um Technizität zu erlangen, also die erste Prüfungsstufe erfolgreich zu absolvieren.
Eine Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln, die im zweiten Schritt geprüft wird, kann durch Bezug auf Umgebungsparameter erfolgen, die z.B. gemessen oder verarbeitet werden.
Äußerlich-organisatorische Datenmanipulationen sind dagegen normale Tätigkeiten einer Datenverarbeitungsanlage und können keine Lösung eines konkreten technischen Problems bewirken.